Tag 1 -Die Ankunft 

„Na, Du siehst aus, als wenn Du einen Geist gesehen hast. Alles gut?“ So wurde ich von der Zwillingsmama auf dem Fußballplatz empfangen.

„Keinen Geist, aber unsere neuen Mitbewohner sind in zwei Stunden da und ich muss jetzt schnell alles vorbereiten.“

„Ich bringe Dir Max gleich nach dem Training vorbei, mach Dir mal keinen Stress.“ Ich liebe ihre unkomplizierte Art und bin in diesem Moment unendlich dankbar.

Zu Hause wirbele ich durch das Haus. Lukas und Felix sind schnell mal zu den Nachbarn gegangen,  die auch ganz spontan ihre Hilfe angeboten haben. Ok, sauber ist alles. Betten beziehen, Handtücher hinlegen, den Laufstall entfernen (den wollten wir doch auch schon lange wieder zurückgeben). Plötzlich klingelt mein Handy, die unbekannte Nummer.

„Schön, dass sie die beiden aufnehmen und sorry für die Verwirrung.“ Die Sozialarbeiterin. 
“Wir werden eine Mutter mit Kind nicht auf der Straße stehen lassen. Irgendwie geht es schon“ Ich merke selbst, dass ich in dieser Situation vergesse, zu atmen. „Wie alt ist das Kind denn jetzt? Junge oder Mädchen“

„Lassen Sie mich mal schauen. Das Kind ist 8 Jahre alt, ob Junge oder Mädchen steht hier nicht. Aus Eritrea.“

Wie das steht da nicht? Die sind doch nicht seit gestern in Deutschland. Die Behörden müssen doch wissen, ob Junge oder Mädchen. „Egal, wir werden es in einer Stunde ja sehen“, höre ich mich sagen.

„Die kommen mit dem Bus an, dann gibt es noch einige Formalien und eine ehrenamtliche Mitarbeiterin aus ihrem Dorf bringt sie dann zu Ihnen.“ Na wenigstens etwas, die Frau kenne ich, das macht es gerade leichter.

Schnell ein Sprung zu unseren Nachbarn, die ich völlig verdattert mit der Information zurück lasse: „Wir nehmen Flüchtlinge bei uns auf.“ Aber bisweilen beschleicht mich da der Gedanke, dass sie sich bei uns über vieles nicht mehr wundern.

Supi, noch 30 Minuten und ich muss mir nur noch darüber Gedanken machen, was ich denn wohl koche. Doch schon wieder klingelt das Telefon. „Es kann sein, dass die Dame schwanger ist und sie kommt nicht aus Eritrea, sondern aus Guinea.“ Oh Gott, Guinea, wo liegt das denn? Was sprechen die für eine Sprache? Und was bitte war das gerade mit „eventuell schwanger“???

„Egal, wir werden sehen.“, ermunterte ich mich selbst. Ich muss zugestehen, dass mir die Situation so langsam über den Kopf wuchs, aber kneifen ging jetzt auch nicht mehr.

Also schnell das iPad raus und Dr. Google nach Guinea befragen. „Französisch“, entfuhr es mir, „auch das noch!“ Hatte ich doch, dickköpfig wie ich nun mal bin, in der Schule gegen alle Widerstände und wahrscheinlich genau deshalb, Latein gewählt. Ansonsten nahm ich noch schnell auf, dass dort Ebola erfolgreich bekämpft worden war und dass es ein Nachbarstaat von Sierra Leone in Westafrika ist.

Und da schellte es schon an der Tür. „Hallo Diana, ich bringe Euch eure beiden Gäste und ich weiß nicht, ob Du es schon gehört hast, die Frau ist schwanger.“

„Wie schwanger?“

„Sehr“

Nun denn, dann also auf. Als ich dem Auto näher kam, saß da eine junge Frau auf dem Beifahrersitz. Aufgrund des sehr großen Babybauches sah ich den ängstlichen Blick erst einige Augenblicke später.

„Hello, ich bin ehh I am Diana!“ Mensch, man könnte meinen, ich wäre total doof, stammelte ich doch nur so etwas vor mich hin.

„Oumou“

Mein Blick ging auf die Rückbank, wo ein kleiner Junge zusammengekauert saß, seinen Impfpass krampfhaft in der Hand.

„Mamoudou“, hörte ich ihn sagen.

„Na, dann kommt mal mit ins Haus“, lud ich sie ein und machte mich sogleich auf, die Tüten, in denen sich die Anziehsachen, die sie in der Notunterkunft und bei uns vor Ort bekommen hatten, auszuladen. Oumou nahm ihren Koffer und so marschierten wir zur Haustür.

Später einmal würde Tobias auf die Frage, wie man sich das mit Flüchtlingen vorstellen kann und warum wir das machen, immer nur antworten: „Stell Dir vor, Du musst aus Deutschland fliehen und alles, was Dir wichtig ist, passt in in einen kleinen Koffer.“

Oumou und Mamoudou traten ungläubig in unser Haus. „Here?“ Ja klar hier, hier bei uns. Irgendwie hatte ich gerade das Gefühl, dass Ihnen das nicht passen würde. „Hier ist Euer Zimmer und Euer Badezimmer.“, die beiden bewegten sich keinen Millimeter. Ich nahm die Tüten und stellte sie in das Zimmer. „Vielleicht packt ihr erst mal aus.“

Mit einem tiefen Seufzer ließ Oumou sich aufs Bett fallen. „Kitchen, where is Kitchen?“ „Da drüben, komm ich zeige sie Dir. Wir kochen alle zusammen.“ Herrgott was wollte sie. Wieso war sie so unfreundlich und herausfordernd? Sie ging zurück in ihr Zimmer, drehte sich um und fragte: „Ihr Allemagne?“ „Ja, klar“, entfuhr es mir. „Warum ihr hier?“ So langsam dämmerte es mir! „Wir wohnen hier, das ist unser zu Hause, home, und ihr wohnt jetzt bei uns.“ Jetzt sah sie erst richtig verstört aus und ich ließ sie mit ihrem Sohn in ihrem Zimmer alleine.

Sollte sie erst einmal zur Ruhe kommen und ich auch, gestand ich mir ein.

So fand mich Tobias in der Küche, die Hände in den Kopf gestützt. „Irgendwas läuft hier falsch.“

„Hat ihr denn niemand gesagt, wo sie hinkommt?“, Tobias war genauso entsetzt wie ich. „Scheinbar nicht, aber lassen wir sie jetzt erst mal in Ruhe.“

Unsere drei Jungs kamen und sofort war wieder Stimmung im Haus. Natürlich waren sie neugierig und wollten sofort hallo sagen. „Gleich, wenn sie rauskommen, gerne, aber stört sie jetzt nicht.“

So saßen wir in der Küche und mir fiel der Spruch meines Papili, eines guten Freundes aus Rüsselsheim, mit ägyptischen Wurzeln ein: „Bei uns in Ägypten trinkt man immer erst mal Tee.“

Jetzt gehört Guinea nicht zum arabischen Raum, aber zumindest liegen beide Länder auf dem afrikanischen Kontinent und das reichte mir momentan als Verbindung.

„Tea?“, fragte ich Oumou auch sogleich beim Eintreten in die Küche. „Oui.“

Und so saßen wir da, alle in der Küche, tranken Pfefferminztee und es herrschte Totenstille.

„Du spielen?“ Felix war der dringend benötigte Eisbrecher. Er zog und zerrte an Mamoudou rum und schwups waren die Kinder im Wohnzimmer verschwunden.

Und dann sind sie da

Dienstags ist immer Stress. Neben der täglichen Frage „was koche ich heute?“, sind Felix aus dem Kindergarten holen, Max von der Schule, damit er pünktlich zum Fussballtraining kommt, an der Tagesordnung.

Gerade noch schnell die Sachen zusammengesucht und schon auf dem Weg zum Platz, klingelt das Telefon. Nee, jetzt mal gerade keine Zeit, die Nummer kenne ich nicht. Das gönne ich mir jetzt mal.

Gerade am Fußballplatz angekommen, klingelt das Telefon wieder. Tobias. Ok, das ignoriere ich natürlich nicht. „Wo bist Du?“ „Max hat Training, ich bin gerade angekommen, warum?“

„Die Sozialarbeiterin der Stadt hat mich gerade angerufen, weil sie Dich nicht erreichen kann.“ Aha, der Anruf. „In 2 Stunden kommen sie.“ In meinem Bauch machte sich ein unruhiges Gefühl breit, ich merkte, wie das Blut rauschte. „Wer „sie“? Die Flüchtlinge?“

Ich merkte wie unruhig auch Tobias war als er mir erklärte „Ja, die Mutter mit ihrem Kind. Ich bin total überfahren und habe der jetzt erst mal gesagt, dass ich das mit Dir durchsprechen muss. Das hat die Sozialarbeiterin etwas irritiert, denn wir hätten  das doch gewusst.“

„Gewusst, ja, aber doch nicht so spontan. Tobias, das geht nicht. Das zieht mir jetzt etwas den Boden unter den Füßen weg. Wir haben doch noch gar nichts vorbereitet.“

„Ich verstehe Dich. Ich bin auch etwas fassungslos. Was machen wir denn jetzt?“

Ja, was machen wir? Was passiert, wenn wir jetzt „nein“ sagen? Wo kommen die dann hin? Können wir sie, nach all der Torturen, die sie womöglich erlebt haben, ablehnen, weil wir nicht „vorbereitet“ sind?

„Tobias, wir können eine Mutter mit Kind nicht ablehnen.“ Damit hatten wir es also beschlossen.

Wir haben da jemanden

„Ist das Zimmer noch frei?“ Diese überraschende Frage des gleichen Mitarbeiters, der mir vor kurzem noch mitteilte, dass das so nicht ginge mit der Unterbringung, war wieder am Telefon.

„Das Zimmer ist frei, bauliche Veränderungen haben wir aber nicht vorgenommen“ Ok, das war nicht freundlich, aber ich kann auch nicht immer aus meiner Haut.

„Würden Sie auch eine alleinstehende Frau mit Kind aufnehmen?“ Dankbar, dass er meine Gehässigkeit einfach überging, hörte ich mich fragen: „Wie alt ist das Kind?“

„Ungefähr 10 Jahre, genaueres wissen wir noch nicht. Die kommen in den nächsten Wochen, unsere Sozialarbeiterin setzt sich dann vorher noch mit Ihnen in Verbindung.“

So schnell kann das dann gehen. Gut, eine Frage hätte ich noch: „Woher kommen die?“ „Eritrea“. Danke und Tschüss.

Eritrea? Oha, erst mal googeln, Familie informieren und auf den Anruf warten.

Ohne eigene Küche?

„Wie? Das ist nur ein Schlafzimmer mit einem Badezimmer? Keine eigene Kochstelle? Kein komplett abgeschlossener Bereich? Wie haben Sie sich das denn vorgestellt?“ Die Fragen prasselten am Telefon nur so auf mich ein und ich sah mich in eine Verteidigungshaltung reingedrängt, in die ich nun gar nicht wollte.

Der Angreifer war der zuständige Mitarbeiter der Stadt, der sich mal erkundigen wollte, was mein Mann bereits angestoßen hatte.

Ich holte tief Luft, „Ja, es ist nur ein Zimmer mit Badezimmer, wir wollten mit den (Mein Gott wie nenne ich sie denn? Gäste, Fremde, neue Familienmitglieder…) Flüchtlingen unsere Küche zur Verfügung stellen, mit ihnen zusammen kochen, sie in unserer Familie temporär aufnehmen.“

„Also da sehe ich wenig Chancen, die brauchen ja auch Privatsphäre und man darf sie damit auch nicht überfordern.“ Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte.

„Privatsphäre? Wie sieht das denn in den schon jetzt überfüllten Wohnheimen aus? Wo ist denn da die Privatsphäre?“, es platzte einfach aus mir raus, „Ist auch egal, unser Angebot steht, wenn es nicht akzeptabel ist, anbauen werden wir deshalb nicht!“

Noch 5 Minuten später saß ich an meinem Schreibtisch und konnte es nicht fassen. Unfähig mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, schrieb ich Tobias eine Whatsapp, da er diese Woche in Marburg studiert. „Nicht genügend Privatsphäre…“

Die Bewerbung

„Ich habe mich bei der Stadt gemeldet und der Mitarbeiter war begeistert“. Mit dieser Meldung überraschte mich Tobias im Büro.

„Wer war worüber begeistert?“ So schnell kann auch ich nicht immer wechseln.

„Na, der Verfasser der Mail, über die Schaffung von Wohnraum für Flüchtlinge“. Ja, liebe Ehefrau, manchmal kannst Du auch mal mitdenken. „Ich habe lange mit dem Mann telefoniert und er gibt das jetzt intern weiter“.

Die Mail

„Ich habe von der Aktionsgemeinschaft eine Mail bekommen, die Stadt bittet darum, Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen“. Tobias überraschte uns mit dieser Information beim Abendessen.

„Wir haben doch noch „Sus“ Zimmer frei“. Ja, so einfach kann es im Leben eines 11-jährigen sein. „Sus“ war unser spanischer Au-Pair Jesús, der im Sommer leider aufgehört hatte und wir leider keinen adäquaten Ersatz fanden.

Das Zimmer war frei, aber wir redeten nicht über einen Übernachtungsbesuch oder eine befristete Arbeitsstelle. Tobias und ich guckten uns an, kann es wirklich so einfach sein?

Ja wir haben unsere eigene Meinung zu dem Umgang mit Flüchtlingen und besonders zu dem Thema Integration. Wie können wir erwarten, dass fremde Menschen sich an unsere Gewohnheiten und unsere Lebensweise anpassen, wenn wir Ihnen keine Gelegenheit geben, diese hautnah zu erfahren? Dass sie unsere Werte kennen lernen, akzeptieren und auch adaptieren, wenn wir sie nur in kurzen Momenten besuchen und mit ihnen zusammen sind? Wie können wir ihnen das und unsere Sprache beibringen, wenn Sie doch in zig Kulturen auf engstem Raum „zusammengedrängt“ (sorry, mir fällt einfach kein anderes Wort für die allgemeinen Flüchtlingsunterkünfte ein) sind und alles dort gesprochen wird, doch kein Deutsch?

„Wen könnten wir denn aufnehmen?“ Tobias geht so etwas immer pragmatisch an

„Bloß kein Mädchen“. Typisch Max

„Vielleicht eine Mutter mit Kind?“ Bei uns macht es nun wirklich keinen Unterschied, ob da noch ein Kind mehr rumspringt oder nicht und Kinder sollten unter Kindern sein.

Wie alles begann!

„Hey Mama, was können wir eigentlich tun?“ Die Frage unseres 11-jährigen brauchte keine weiteren Erklärungen, denn ein Thema ist allgegenwärtig in unseren heutigen Zeit: Flüchtlingskrise!

„Ja, tun müssen wir etwas, aber was schlägst Du vor?“ Das kam von meinem Mann Tobias, denn so läuft das immer. Eigene Ideen zu entwickeln und sich nicht auf die Lösungen anderer zu verlassen, das ist es, was er unseren Kindern immer beibringen möchte.

„Lasst uns mal zusammen nachdenken“ Ich sah schon wieder, wie Max die Augen verdrehte und das ist irgendwie auch neuerdings immer so…

Da saßen wir drei nun und dachten nach:

Kleiderspende – Tobias und ich hatten das schon gemacht und Max versprach nun auch endlich tätig zu werden.

Spielzeug – Was brauchen unsere beiden Kleinen nicht mehr, was können wir abgeben?

Möbel – Nun, auf dem Dachboden gibt es so einige Schränke, die noch super erhalten sind, aber die wir wahrscheinlich nie mehr benötigen. Drauf auf den Zettel, damit ich am nächsten Tag bei der von der Stadt eigens eingerichteten Nummer anrufen und mich informieren konnte, wie das Ganze abläuft.