Die Nacht war ziemlich unruhig, denn die ungewöhnliche Situation forderte ihren Tribut.
„Mama, dürfen die Zwillinge morgen bei uns übernachten?“ Max hatte seine eigenen Vorstellungen, wie unser Leben zu funktionieren hatte und er hatte womöglich Recht.
„Klar, auf zwei mehr oder weniger kommt es doch nun wirklich nicht an und Du hast ja schließlich Ferien“, warf ich deshalb ein und ergänzte: „Ich werde mit Oumou heute Nachmittag zum Einwohnermeldeamt gehen und die beiden anmelden und dann fahren wir noch einkaufen.“
Einige Zeit später kamen wir ins Bürgerbüro der Stadt. Alle schauten irgendwo hin, aber keiner wollte uns direkt auffordern, zu ihm zu kommen.
„Ja?“ Eine junge Dame erbarmte sich und so gingen wir zu dem Tisch und ich bedeutete Oumou, sich zu setzen.
„Guten Tag, wir haben die Dame und ihren Sohn gestern bei uns aufgenommen und möchten die jetzt anmelden“, sagte ich unaufgefordert meinen Spruch auf.
„Haben Sie das denn mit einem Verantwortlichen abgeklärt?“ Diese Frage brachte mich aber jetzt etwas aus der Bahn und ich konnte mich nur schwer beherrschen. Glaubte die Dame etwa, wir sind mal kurz im Flüchtlingswohnheim vorbeigefahren und haben die zwei einfach mitgenommen?
„Natürlich, sie sind gestern mit dem Bus aus dem Erstaufnahmelager gekommen und wurden dann bei uns einquartiert. Alles ist abgesprochen.“ Was so ein tiefes Durchatmen so alles bewirkt. 🙂
„Na dann ist ja gut. Hat sie Papiere?“
„Na, am Besten fragen wir sie doch selbst.“ Natürlich hatte Oumou Papiere bekommen und die drückte sie mir komplett in die Hand. Den Mutterpass sortierte ich aus, den musste ich mir dringend noch einmal anschauen, aber später, und gab alles der Dame.
„Wo kommt sie her?“
„Aus Guinea.“ Mensch, warum spricht die denn nicht mit Oumou, sondern immer nur über Oumou? Das irritierte mich schon sehr.
„Nein, wo sie vorher war!“
„Wie vorher? Sie kommt aus Guinea, ist nach Deutschland geflüchtet und jetzt ist sie hier.“ Ruhig, Diana, ruhig.
„Nein, wie hieß das Übergangslager und wo war das?“
„Ich weiß es nicht, aber vielleicht gucken Sie mal in die Unterlagen.“
„Ach ja, da steht es.“, sprach’s und tippte es in ihren Computer.
„Wo wohnt sie jetzt?“
Bei uns, wollte ich sagen, verkniff es mir aber und gab ihr unsere Adresse. „Haben Sie auch die Adresse des Erstaufnahmelagers?“
„Ich? Woher soll ich die denn haben? Habe sie die denn bei der Stadt nicht?“ Jetzt fehlte wirklich nicht mehr viel.
Sie ging los, um eine Kollegin zu fragen und kam kurze Zeit später mit einer Adresse zurück. „Wir haben ein Problem. Sie hat keine Geburtsurkunde für ihr Kind und auch keine Heiratsurkunde, wir können doch nicht einfach diese Angaben übernehmen.“
Klar, das leuchtete mir ein. Da könnte ja auch jeder kommen und irgendetwas behaupten, aber ich kann auch kaum glauben, dass es in diesen Ländern so eine genaue Dokumentation wie bei uns gibt.
„Deshalb kann ich sie jetzt nicht anmelden.“ Schlagartig war es vorbei mit meinem Verständnis. Wir haben seit einem Jahr diese Flüchtlingssituation und Oumou soll tatsächlich die erste sein, die keine Unterlagen mit hat?
„Wie haben Sie das denn bisher gemacht? Wir müssen sie doch anmelden.“
„Das weiß ich jetzt auch nicht, aber es gab eine neue Anweisung, aber wir hatten bislang noch keine Zeit, uns dort einzuarbeiten.“
Aha. Super. Und jetzt?
„Wie wäre es denn, wenn Sie sich schnellstmöglich mal einarbeiten, jedenfalls einer von ihnen und dann eine Entscheidung treffen. Es sollen ja noch mehr Flüchtlinge zu uns kommen, es wird also nicht leichter.“
„Gute Idee“, kam es von ihrer Kollegin, „Ich denke wir setzen uns morgen Mittag zusammen und dann haben wir am Nachmittag eine Entscheidung.“ Die Frau gefiel mir und ich stimmte zu, am nächsten Tag wieder zu kommen.
„Wo ich aber gerade hier bin, wie man sieht ist Oumou schwanger und müsste dringend zum Arzt. Wie genau funktioniert das? Bekommst sie eine Karte oder geht sie einfach zum Arzt?“
„Das macht das Sozialamt, dort müssen sie sich erkundigen.“ Ich schaute die Dame an und wartete, was sie etwas aus der Fassung brachte. Nachdem ich keine Anstalten machte, etwas zu sagen, fragte sie: „Soll ich da mal anrufen?“
„Das wäre wirklich fantastisch, vielen Dank!“, ich konnte mir den sarkastischen Unterton nicht verkneifen und schämte mich auch ein wenig dafür. Ich war für so ein Behördenspiel einfach nicht gemacht.
Die Mitarbeiterin im Sozialamt war auf Zack und bat, dass wir doch gleich zu ihr rüber kommen mögen. Jetzt muss man wissen, dass unsere Stadt gefühlte 10 Rathäuser hat und so fragte ich zum Abschluss, wo denn genau das Sozialamt sei.
Das brachte die Mitarbeiterin aus dem Bürgerbüro vollends aus der Fassung und sie starrte mich an, gab mir dann aber mit einigem Zögern die Adresse.