Tag 8 – Der erste Schultag 

„Guten Morgen!“, fröhlich und beschwingten kamen Lukas, Mamoudou und ich an der Schule an. Die Blicke der anderen Eltern waren schon komisch. Aber wer kann es Ihnen auch verdenken, wenn sie sich wundern, dass ich mit einem farbigen Kind in die Schule komme. Das ist für unser Dorf schon eher ungewöhnlich, wenn auch nicht einzigartig. Die Direktorin und die Klassenlehrerin warteten bereits. Der Lehrer für die Integrationsklasse kam kurz vorbei, sagte nicht hallo und fragte an mir vorbei: „Soll ich den jetzt mitnehmen?“ Es war für mich wieder Zeit zum tief durchatmen. Was um alles in der Welt qualifiziert den denn, diese Klasse zu leiten? Ich war sauer, wie unhöflich. Die Direktorin erkannte die Situation und sagte: “ Nein, ich nehme ihn jetzt erst mal mit in den Matheunterricht und schaue mir an, welche Kenntnisse er schon hat.“

DANKE!!!

Ich versprach Mamoudou, der die Situation genau verfolgt hatte, ihn nachher wieder abzuholen und bekam mittags einen fröhlichen und glücklichen Jungen mit einer riesigen Einkaufsliste wieder zurück.

Tag 7 – Die Arbeitsgruppe 

Die Arbeitsgruppe besteht aus der Pastorin, der Diakonin, unserer diesjährigen Weihnachtsfensterkoordinatorin und mir.
Zunächst einmal waren alle neugierig, wie es bei uns zu Hause läuft, dann aber haben wir konkret darüber gesprochen, was wir bei uns vor Ort machen können. Uns allen ist klar, dass die Ortsteile irgendwann auch von der Stadt zur Unterbringung von Flüchtlingen ins Auge gefasst werden und dann wollen wir

a) vorbereitet sein und
b) so viele wie möglich motiviert haben, selbst Flüchtlinge aufzunehmen, um eine Massenunterkunft zu vermeiden. Diese würde unserer Meinung nach die Integration, aber auch die Akzeptanz im Dorf verzögern und erschweren.

Mit einem ersten Maßnahmenkatalog und einem schnellen nächsten Termin, trennten sich unsere Wege.

Tag 7 – Das Baby 

Nachdem ich gesehen hatte, dass der letze Frauenarzttermin schon über 4 Wochen her war, der errechnete Geburtstermin aber bereits am 11.11. (dieser Termin freut das Meenzer Herz meines Mannes) ist, habe ich gleich bei meinem Arzt angerufen und die Situation geschildert. Wir bekamen spontan für heute Nachmittag einen Termin.“Mensch, da ist ja fast gar nichts gemacht!“ Die Fassungslosigkeit war dem Arzt ins Gesicht geschrieben. „Ich muss mal gucken, welche Untersuchungen noch machbar sind.“

Nach diversen Bluttests und dem CTG wurde es ernst. „Möchten Sie wissen, was es wird?“ Ja, das wollte Oumou und ich hätte es auch schon gleich sagen können, in unser Haus kommen nur „Jungs“. 😉

Zur Untersuchung wollte ich mich dezent zurück ziehen, aber da wurde ich von der kleinen, zierlichen Person, der man von hinten noch nicht mal ansieht, welch riesigen Babybauch sie vor sich her trägt, zurück gehalten. „No!“

Welch ein Vertrauensbeweis und natürlich blieb ich.

Es ist schon komisch, in welch kurzer Zeit man einander so vertraut werden kann.

Tag 7 – Schulanmeldung

Endlich Montag, endlich wieder Schulanfang, die Herbstferien sind vorbei.Was für Max zu keinerlei Freudensprüngen führte, war für Mamoudou spannend und aufregend, doch auch enttäuschend, denn zunächst einmal musste ich ihn anmelden.

So gingen Lukas und ich mit ihm die paar Schritte bis zur Grundschule. Es ist einfach fantastisch, wenn alles so nah bei einem ist und wenn es so ein intaktes Dorfleben gibt. Mit großem „Hallo“ wurde ich begrüßt und während ich mit der Schulsekretärin die Formalitäten klärte, flirtete Lukas mit der Direktorin.

Mamoudou ist acht Jahre alt und damit stand für die Direktorin fest: „Wir versuchen es in der 3. Klasse!“ Zu meiner Überraschung war die Klassenlehrerin dieselbe, die auch Max schon hatte.

Mein Tag war perfekt! 🙂

Es gibt sogar eine internationale Klasse (obwohl nur durchgehend einzügig), in der aber nur die Sprachförderung stattfindet, denn ansonsten gehen die Kinder in ihre Klasse, was für die Integration sehr wichtig ist.

Tag 5 + 6 – Allein zu Hause

Wir hatten eine schöne Zeit bei einer wunderschönen Hochzeit und doch waren unsere Gedanken immer wieder bei Oumou und Mamoudou, doch die zahlreichen Nachrichten, dass alles gut sei, beruhigten uns schon ein wenig.

Als wir nach Hause kamen, empfingen uns beide freudestrahlend und die Kids spielten gleich wieder los, als wenn wir nie weggewesen wären und so sah eigentlich auch das gesamte Haus aus.

Unsere Pastorin lud Tobias und/oder mich noch spontan zu einer kleinen Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema Flüchtlinge in unserem Dorf beschäftigen wollte, ein. Das Treffen findet schon morgen statt, so dass Tobias leider passen musste, ich aber gerne zusagte.

Tag 4 – Normalität

Heute war es spannend.
Zunächst einmal war der Wasserkocher angebrannt und wir mussten uns darüber verständigen, dass der „Anschalter“ nicht an sein muss, wenn kein Wasser drin ist. Weinbrandessig hatte dann sein Übriges getan und der Wasserkocher sieht aus wie neu. 🙂
Als ich von der Arbeit kam, saßen alle Jungs beim Essen. Oumou hatte für alle gekocht. „Super lecker“, war das einstimmige Votum, auch wenn es dem einen oder anderen schon etwas scharf war. Ein Blick in den Mülleimer zeigte mir „Hähnchenmagen“, doch das verschwieg ich den Jungs besser. 🙂

Unsere Nachbarinnen kamen vorbei, auch hier kann es so einfach sein. Wenige Worte, doch aufmunternde Blicke und eine Tasse Kaffee können eine Brücke schlagen.

Ich brauchte die beiden auch, denn Tobias und ich waren zu einer Hochzeit eingeladen und bis Sonntag nicht zu Hause. Außerdem hatten sich noch unsere Pastorin, die auch nebenan wohnt und die ehrenamtliche Helferin bereit erklärt, nach den beiden zu gucken.

Trotzdem sind wir mit gemischten Gefühlen weg gefahren.

Tag 3 – Kinder

Zurück zu Hause mussten wir zunächst einmal Platz in der Gefriertruhe und in der Speisekammer schaffen, allerdings ohne Mamoudou, der sofort von den Zwillingen und Max in Beschlag genommen wurde, um ihn auf seine fußballerischen Fähigkeiten zu testen.

„Der kann was.“ So einfach lautete das Urteil schon nach wenigen Minuten. Und so tobte die Menge, Lukas und Felix inklusive, durch’s Haus und es war eine ausgelassene Stimmung, die ich mit den Worten „Wir bestellen Pizza“, noch krönen konnte. Es ist einfach fantastisch zu sehen, wie unbeschwert Kinder miteinander sind, wenn niemand sie beeinflusst.

Bei dem Pizzagelage, welches Oumou und Mamoudou anfangs nicht geheuer war und sie nur zögerlich, aber dann mit vollem Genuss aßen, fragte Tobias plötzlich: „Seid ihr eigentlich Muslime?“ Oumou nickte. Ach Du Schreck, daran hatte ich ja gar nicht gedacht. Gott sei Dank gab es aber keine Salami auf deren Pizzen.

„Dann sollten wir uns darauf einstellen oder was meinst Du?“ Ich guckte Tobias an und nickte. Klar, ohne Schweinefleisch, das sollte klappen.

Tag 3 – Der Einkauf 

Nachdem wir heute unseren Behördengang mit einer schnellen und ordnungsgemäßen Anmeldung erledigt hatten, gingen wir einkaufen. Der Supermarkt ist einer der Neusten und Modernsten, aber somit auch nicht gerade klein und so war ich gespannt, wie Oumou das aufnehmen würde.

Felix und Lukas kamen, genau wie Mamoudou, mit, während Max schon auf seine Freunde zu Hause wartete.

Wir begannen beim Obst und Gemüse und schon hier stellte sich eine große Überforderung ein. Scheinbar wahllos wurden Trauben, Kartoffeln und Mangos in den Korb geladen und ich fragte mich, ob ihr die Preise bewusst waren.

„Riesch“, Oumou guckte mich fragend an. „Riesch?“, jetzt schon etwas fordernder. „Keine Ahnung, was Du meinst. Ist das Gemüse?“ „Riesch! Riesch“, wiederholte sie das Wort schon bereits wie ein Mantra. Ich war hilflos. „Werden wir schon finden, lass uns mal weiter gehen.“

Fasziniert über die Auswahl an frischem Fisch, Wurst und Käse, machten wir unseren Gang und ich kaufte für uns ein und sie suchte aus, was sie glaubte erkennen zu können. „Kicken?“ Oh nein, was heißt das denn schon wieder? „Chicken? Meinst Du Chicken, Hühnchen?“, Oumou nickte ganz heftig.

Gekauft wurden Hähnchenschenkel, -herz und -magen. Nun gut, das hatte ich noch nicht gegessen, aber spannend.

Über das Öl kamen wir dann endlich zum „Riesch“, der sich als ganz normaler Reis darstellte. Die Fülle an Tütenreis, losem Reis, aromatisiertem Reis und vielem mehr überforderte sie doch sehr und wir verbrachten fast eine halbe Stunde vor dem entsprechenden Regal.

„32,59 €“, hieß es dann an der Kasse und Oumou, die einen Zehner in der Hand hielt, wühlte ganz heftig in der Tasche, um mehr Geld herauszusuchen. Ja, an die Sache mit den Preisen in Deutschland müssen wir noch einmal rangehen.

Tag 2 – Das Sozialamt 

Die Mitarbeiterin im Sozialamt war auf Zack. Sie hatte schon soweit alle Unterlagen (Quartalskrankenscheine & Co.) zusammengestellt.

„Wie kamen Sie auf die Idee, Flüchtlinge aufzunehmen? Wir waren hier schon ein wenig überrascht.“, fragte sie, nachdem die Formalitäten erledigt waren.

Ich erzählte ihr von unseren Beweggründen und wir kamen ins Gespräch über die Flüchtlingssituation und die Herausforderungen, vor denen die Kommunen stehen. Vieles war mir noch gar nicht so bewusst, ich habe aber auch schnell gemerkt, dass wir Deutschen uns mit all unseren Gesetzen und Vorschriften oftmals selbst im Wege stehen.

Tag 2 – Das Bürgerbüro 

Die Nacht war ziemlich unruhig, denn die ungewöhnliche Situation forderte ihren Tribut.

„Mama, dürfen die Zwillinge morgen bei uns übernachten?“ Max hatte seine eigenen Vorstellungen, wie unser Leben zu funktionieren hatte und er hatte womöglich Recht.

„Klar, auf zwei mehr oder weniger kommt es doch nun wirklich nicht an und Du hast ja schließlich Ferien“, warf ich deshalb ein und ergänzte: „Ich werde mit Oumou heute Nachmittag zum Einwohnermeldeamt gehen und die beiden anmelden und dann fahren wir noch einkaufen.“

Einige Zeit später kamen wir ins Bürgerbüro der Stadt. Alle schauten irgendwo hin, aber keiner wollte uns direkt auffordern, zu ihm zu kommen.

„Ja?“ Eine junge Dame erbarmte sich und so gingen wir zu dem Tisch und ich bedeutete Oumou, sich zu setzen.

„Guten Tag, wir haben die Dame und ihren Sohn gestern bei uns aufgenommen und möchten die jetzt anmelden“, sagte ich unaufgefordert meinen Spruch auf.

„Haben Sie das denn mit einem Verantwortlichen abgeklärt?“ Diese Frage brachte mich aber jetzt etwas aus der Bahn und ich konnte mich nur schwer beherrschen. Glaubte die Dame etwa, wir sind mal kurz im Flüchtlingswohnheim vorbeigefahren und haben die zwei einfach mitgenommen?

„Natürlich, sie sind gestern mit dem Bus aus dem Erstaufnahmelager gekommen und wurden dann bei uns einquartiert. Alles ist abgesprochen.“ Was so ein tiefes Durchatmen so alles bewirkt. 🙂

„Na dann ist ja gut. Hat sie Papiere?“

„Na, am Besten fragen wir sie doch selbst.“ Natürlich hatte Oumou Papiere bekommen und die drückte sie mir komplett in die Hand. Den Mutterpass sortierte ich aus, den musste ich mir dringend noch einmal anschauen, aber später, und gab alles der Dame.

„Wo kommt sie her?“

„Aus Guinea.“ Mensch, warum spricht die denn nicht mit Oumou, sondern immer nur über Oumou? Das irritierte mich schon sehr.

„Nein, wo sie vorher war!“

„Wie vorher? Sie kommt aus Guinea, ist nach Deutschland geflüchtet und jetzt ist sie hier.“ Ruhig, Diana, ruhig.

„Nein, wie hieß das Übergangslager und wo war das?“

„Ich weiß es nicht, aber vielleicht gucken Sie mal in die Unterlagen.“

„Ach ja, da steht es.“, sprach’s und tippte es in ihren Computer.

„Wo wohnt sie jetzt?“

Bei uns, wollte ich sagen, verkniff es mir aber und gab ihr unsere Adresse. „Haben Sie auch die Adresse des Erstaufnahmelagers?“

„Ich? Woher soll ich die denn haben? Habe sie die denn bei der Stadt nicht?“ Jetzt fehlte wirklich nicht mehr viel.

Sie ging los, um eine Kollegin zu fragen und kam kurze Zeit später mit einer Adresse zurück. „Wir haben ein Problem. Sie hat keine Geburtsurkunde für ihr Kind und auch keine Heiratsurkunde, wir können doch nicht einfach diese Angaben übernehmen.“

Klar, das leuchtete mir ein. Da könnte ja auch jeder kommen und irgendetwas behaupten, aber ich kann auch kaum glauben, dass es in diesen Ländern so eine genaue Dokumentation wie bei uns gibt.

„Deshalb kann ich sie jetzt nicht anmelden.“ Schlagartig war es vorbei mit meinem Verständnis. Wir haben seit einem Jahr diese Flüchtlingssituation und Oumou soll tatsächlich die erste sein, die keine Unterlagen mit hat?

„Wie haben Sie das denn bisher gemacht? Wir müssen sie doch anmelden.“

„Das weiß ich jetzt auch nicht, aber es gab eine neue Anweisung, aber wir hatten bislang noch keine Zeit, uns dort einzuarbeiten.“

Aha. Super. Und jetzt?

„Wie wäre es denn, wenn Sie sich schnellstmöglich mal einarbeiten, jedenfalls einer von ihnen und dann eine Entscheidung treffen. Es sollen ja noch mehr Flüchtlinge zu uns kommen, es wird also nicht leichter.“

„Gute Idee“, kam es von ihrer Kollegin, „Ich denke wir setzen uns morgen Mittag zusammen und dann haben wir am Nachmittag eine Entscheidung.“ Die Frau gefiel mir und ich stimmte zu, am nächsten Tag wieder zu kommen.

„Wo ich aber gerade hier bin, wie man sieht ist Oumou schwanger und müsste dringend zum Arzt. Wie genau funktioniert das? Bekommst sie eine Karte oder geht sie einfach zum Arzt?“

„Das macht das Sozialamt, dort müssen sie sich erkundigen.“ Ich schaute die Dame an und wartete, was sie etwas aus der Fassung brachte. Nachdem ich keine Anstalten machte, etwas zu sagen, fragte sie: „Soll ich da mal anrufen?“

„Das wäre wirklich fantastisch, vielen Dank!“, ich konnte mir den sarkastischen Unterton nicht verkneifen und schämte mich auch ein wenig dafür. Ich war für so ein Behördenspiel einfach nicht gemacht.

Die Mitarbeiterin im Sozialamt war auf Zack und bat, dass wir doch gleich zu ihr rüber kommen mögen. Jetzt muss man wissen, dass unsere Stadt gefühlte 10 Rathäuser hat und so fragte ich zum Abschluss, wo denn genau das Sozialamt sei.

Das brachte die Mitarbeiterin aus dem Bürgerbüro vollends aus der Fassung und sie starrte mich an, gab mir dann aber mit einigem Zögern die Adresse.