„Ich höre da was und die Leber ist auch vergrößert!“ Ich konnte es nicht glauben, was die Kinderärztin gerade über Mamoudou gesagt hatte. Eben noch freuten wir uns mit ihm wie Bolle über seine handballerischen Fähigkeiten und jetzt sollte dieser Junge krank sein? Was denn noch alles?
„Was heißt das genau?“ Ich lächelte und tat so als wenn ich eine ganz normale Frage stellte, da sowohl Oumou als auch Mamoudou nicht wirklich verstanden, worum es ging.
„Es könnte sich ein Loch im Herzen befinden.“
Rumms, das war es, was ich nicht hören wollte.
„Ok, was können wir tun? Wie finden wir heraus, ob das stimmt oder nicht?“ Manchmal wundere ich mich selbst über meinen Pragmatismus, denn innerlich war mir hundeelend zu Mute. Aber wie immer: Kneifen gilt nicht!
Als ich allerdings den unglücklichen Gesichtsausdruck der Ärztin, die ich über alle Maße schätze, sah, ahnte ich schon, was jetzt kommt. „Leider nicht viel. Ich kann noch ein Blutbild machen, aber danach sind mir die Hände gebunden. So lange der Asylstatus nicht festgestellt ist, werden weitere Untersuchungen nicht bezahlt.“
Oumou und Mamoudou verfolgten unseren Dialog gespannt, ähnlich wie beim Tennismatch, von links nach rechts guckend und warteten darauf, dass ich eine Regung zeigte. Mir schwirrte der Kopf und ich konnte nicht richtig denken, wusste jedoch, dass ich diese Nachricht erst einmal selber verdauen musste. „Ok, wir finden eine Lösung.“
Dieses Dilemma habe ich häufiger. Wie macht man es richtig? Alles erzählen und die beiden mit Dingen, die uns schon überfordern alleine lassen? Die Entscheidungen selber treffen und die beiden übergehen? Was ist richtig, was ist falsch? Ich vertagte die Entscheidung, denn der gesamte Arztbesuch stand so wie so unter dem Motto: „Muss das wirklich sein?“ Klar, so viele Ärzte wie bei uns in Deutschland hatten die beiden noch nie gesehen. Ich gehe auch nicht gerne bzw. oft zum Arzt, soweit kann ich das verstehen. Allerdings hatte ich bei Oumou schon gesehen, dass es Lücken bei der ärztlichen Versorgung im Erstaufnahmelager gab und deshalb sollte Mamoudou wenigstens einmal von unserer Kinderärztin untersucht werden. In der Tat war der Impfstatus noch nicht komplett, so dass er tapfer wie er nun mal ist, einige Nadelstiche über sich ergehen lassen musste.
„Mamoudou hat womöglich ein Loch im Herzen und kann aber erst in einem halben Jahr oder so untersucht werden. Ich weiß, dass nicht alle Untersuchungen gemacht und bezahlt werden können, aber wir können ihn doch nicht mit so einer Diagnose Hochleistungssport machen lassen. Außerdem ist die Vorstellung nichts tun zu können, unerträglich.“ Ich hatte Tobias angerufen, sobald ich alleine war. „Ich telefoniere mal mit meinem rotarischen Freund. Der war schließlich in führender Position im Herzzentrum. Vielleicht hat der eine Ahnung, was wenigstens die Untersuchung kostet. Zur Not zahlen wir es selbst.“
Was danach folgte war ein Lehrstück aus der Reihe: Bitte um Hilfe und Du wirst sie bekommen. Tobias‘ rotarischen Freund half umgehend, indem er einen kurzfristigen Termin organisierte und auch die finanzielle Unterstützung seitens eines Fördervereins klärte.
Also führen wir knapp eine Woche später ins Herzzentrum. Oumou und Mamoudou wussten nur, dass wir aufgrund des Sports sein Herz untersuchen lassen wollten, da die Ärztin sich nicht ganz sicher war. Alles weitere, Loch im Herzen und OP-Möglichkeiten, verschwiegen wir.
Die Mitarbeiter und der Chefarzt waren einfach toll. Sie warteten bereits auf uns und Mamoudou wurde alles ganz genau erklärt und gezeigt. Es wurden einige Untersuchungen gemacht und als der Chefarzt sagte: „Ich sehe im Ultraschall nichts.“, war die Erleichterung riesig! Am Liebsten hätte ich laut losgejubelt.
„Ist das in Deutschland immer so, wenn man Handball spielt?“ Oumou guckte mich mit ihren großen Augen an, die Verwirrung ob des großen Aufgebotes an Schwestern und Ärzten und medizinischen Geräten. In diesem Moment musste ich lachen und die Tränen kamen mir dann doch vor Freude. „Nein Oumou, nicht wirklich!“