1:30 Uhr an Tag 44 und ich bin endlich wieder zu Hause! Der letzte Tag hatte es in sich und bei aller Gelassenheit, die ich Oumou gegenüber ausgestrahlt habe, einfach ist anders. Aber der Reihe nach.
Um 6:30 Uhr stand Oumou fix und fertig in der Tür, bereit zur Abfahrt. Ganz so weit war ich noch nicht, schnell noch die Brote fertig machen, Max rausschmeißen, den Tag mit Tobias durchgehen und dann ging es los.
„Oumou, alles klar?“ Wie oft habe ich diesen Satz in den letzten Wochen benutzt, immer fragend, ob nicht doch eine Wehe im Anmarsch war, aber heute versuchte ich nur die Anspannung, die von Oumou ausging, zu lösen. Und es klappte. Sie lachte lautstark und schaute mich an. „Ja, alles klar.“
Im Krankenhaus wurde mir erst einmal wieder bewusst, was dieses Prozedere für sie bedeuten musste. Mamoudou hat sie im Haus ihrer Mutter mit vielen, weiblichen Verwandten um sie herum zur Welt gebracht. Ganz natürlich ohne Geräte, Tabletten, Infusionen und Ärzte. Machen wir hier das Richtige? Aber schließlich war sie bereits 13 Tage über Termin.
Kneifen galt jetzt nicht, also ging ich vor und Oumou kam langsam hinter mir her. So läuft das übrigens immer: Ich gehe los und schon nach 10 Sekunden ist sie zwei Schritte hinter mir und fällt mit zunehmender Zeit immer weiter zurück, so dass ich automatisch irgendwann warten muss. Dafür fallen ihr aber Dinge auf, die ich schon längst nicht mehr sehe.
Zurück zum Krankenhaus. Wir klingelten im Kreißsaal und wurden auch schon gleich freudig begrüßt, man hätte uns bereits erwartet. „Sie sind zum übersetzen mit? Wie lange haben Sie Zeit?“
„Nein, ich spreche leider gar kein Französisch, aber ich bleibe so lange bis das Baby da ist.“ Mittlerweile gewöhne ich mich an die verblüfften Blicke. Also schickte ich schnell eine Erklärung hinterher „Oumou wohnt mit ihrem Sohn bei uns und vertraut mir, wir werden das schon hinbekommen.“ Diese Erklärung sollte ich an diesem Tag noch öfter machen und die Reaktion war jedes Mal die gleiche: Mein Gegenüber interessierte sich für die Hintergründe und wollte alles genau wissen. Es können viele Dinge geklärt werden, wenn man nur darüber spricht.
Apropos sprechen, da ich bei allen meinen drei Kindern nicht um eine Geburtseinleitung herum kam, kannte ich mich in diesem Bereich besonders gut aus und hatte zusammen mit der Lehrerin und der Hebamme Oumou die verschiedenen Einleitungsarten versucht zu erklären. Letztendlich entschied sie sich für die Einnahme von Tabletten. Die Ärztin im Krankenhaus war darüber sichtlich erleichtert, aber natürlich erklärte auch sie ihr alles noch einmal, allerdings auf deutsch.
Auf die Einnahme der ersten Tablette erfolgte die Belegung des Zimmers, Oumou war völlig überfordert von der Größe des Zimmers und der Sauberkeit. Wir liegen im Foyer auf und ab und so hatte ich die Gelegenheit noch ein wenig am iPad zu arbeiten. Die Mutter eines Teamkollegen von Max, die als Ernährungsberaterin in der Klinik arbeitet, kam kurz vorbei. Oumou nennt sie jetzt immer „Amigo Doktor“ 😉 Aber von Ernährungsberatung hat sie sicherlich auch noch nie was gehört.
Nach dem dritten CTG und der Tablette arbeitete ich munter weiter, während Oumou vom begleitenden CTG so gelangweilt war, dass sie sich eine Auszeit nahm und eine Runde schlief. Das beeindruckte mich, denn diese Ruhe habe ich nie aufbringen können. Ein paar Minuten später wunderte ich mich schon etwas mehr, denn auch ich als Laie konnte die Ausschläge des Wehenschreibers ganz eindeutig Wehen und zwar nicht unbedeutenden Wehen zuordnen. Während ich mich wunderte, schlief Oumou weiter und ich nahm meine Arbeit wieder auf, denn ich war mir sicher, bevor das Kind kam, wachte sie bestimmt noch mal auf.
Nach dem CTG wachte Oumou auf und bestritt vehement, dass sie Schmerzen habe. Nun gut, dann verließen wir also den Kreißsaal ein weiteres Mal und erkundeten das Foyer erneut. Oumou lief ihre Runden und ich machte meine Arbeit. „Ich bin müde, schlafen.“ Alles klar, das Bett stand ja im Zimmer, also nichts wie hin. Im Zimmer erwartete sie sogar noch ihr Mittagessen und wieder wunderte sie sich.
Pünktlich um 17:00 Uhr waren wir wieder im Kreißsaal zur 3. Runde. CTG, Tablette, CTG und dann war an Schlaf nicht mehr zu denken. Die Wehen kamen schnell hintereinander und plötzlich stürmten drei Hebammen mit zwei Ärzten ins Zimmer, Oumou wurde auf die Seite gewuchtet, bekam eine Sauerstoffmaske auf und eine Injektion in den Zugang. Ihren panischen Blick zu mir werde ich niemals vergessen. Sie hatte mir den ganzen Tag immer vertraut, denn wenn ich sagte, das ist ok, dann war es auch für sie ok und jetzt das. Ich versuchte Ruhe auszustrahlen, merkte aber selber, dass mir das nicht gelang. In einem günstigen Moment herrschte ich die Hebammen an: „Was ist hier los?“ „Die Herztöne des Babys sind abgesackt, scheinbar hat das Kind auf die Tabletten reagiert. Wir haben Gegenmaßnahmen getroffen, die Herztöne werden wieder normal.“ Völlig erschrocken zog ich meinen Stuhl ganz nah an Oumou heran, nahm ihre Hand und schwor ihr hoch und heilig, dass alles gut werden würde und dass sie das großartig mache. Wir atmeten zusammen und ich ließ dieses CTG nicht mehr aus den Augen.
Um 19:20 Uhr hatte sich soweit alles beruhigt, die Wehen waren da, hatten aber noch nicht die richtige Länge. Die Hebamme schlug vor, dass wir ein paar Runden laufen sollten, um spätestens eine Stunde später wieder zurück zu sein. So liefen wir und während wir Europäerinnen uns einfach vor Schmerzen krümmen und stöhnen, schnippsen und tanzen Afrikanerinnen. Das war schon sehr skurril und so wanderten wir schnippsend und tanzend durch die Gänge, aber nach 40 Minuten beschloss ich, dass es jetzt reicht und ich die Verantwortung nicht länger auf mich nehmen wollte.
Oumou kam umgehend in den Kreißsaal und die Hebamme versuchte mit ihrem Schulfranzösisch Kontakt zu Oumou zu bekommen und es klappte sehr gut. Ich vertiefe jetzt nicht den Geburtsvorgang, nur so viel, Oumou sprach deutsch. Im größten Delirium sprach sie mit uns deutsch, nur Brocken, aber immerhin. Ok, sie verfluchte mich mehrfach, auch auf deutsch, aber das verzeihe ich ihr, denn die Geburt war alles andere als einfach.
Um 22:16 Uhr war er dann aber da. Moustaf! Mit so vielen Haaren und keineswegs so dunkelhäutig wie ich es mir vorgestellt hatte. Er hat ein ganz zartes Stimmchen und wunderschöne Augen. 3.810g und 53cm. Oumou wollte, dass ich die Nabelschnur durchschneiden sollte und es war ein unbeschreibliches Gefühl. Minuten später, als wir drei alleine waren, sagte Oumou „Danke, aber in Guinea nicht das (CTG) und nix Doktor und nichts Tablette. Einfach nur aua und gut.“
Ja, Oumou, da hast Du wohl Recht. Wieder einmal stellte ich mir die Frage, ob das bei uns immer alles so sein musste. Auf der anderen Seite hätte ich mit ihr in diesem Moment die Kindersterblichkeitsrate in Guinea nicht diskutieren wollen, also schwieg ich.