Heute in meinem Adventskalender mit Geschichten von Charles Dickens
Autor: Diana
Tag 58 – Geschwister
Aus drei Kindern wurden fünf und mit 24 ist Oumou auch so manches Mal noch ein Kind.
Bei uns geht es bunt zu und die Kids machen untereinander keinerlei Unterschied mehr. Da wird gespielt, gelacht, gestritten und gekuschelt. Gerade die drei Kleinsten sind bei letzterem immer gerne dabei, während es bei den beiden großen schon mal krachen kann. Mamoudou steht da Max aber mittlerweile durch nichts nach. Gerade die Diskussion FC Bayern München vs. FC Barcelona muss dafür immer herhalten. 😉
Wenn es aber dann zum gemeinsamen Spiel mit dem Fußball geht, passt wieder kein Blatt dazwischen.
Oumou ist gerade bei der Pastorin gegenüber zum Adventsfenster und ich habe versprochen, auf Mustaf aufzupassen. So sitze ich hier im Sessel, im linken Arm Mustaf, im rechten Lukas, der diese Gelegenheit zu kuscheln gleich völlig ausnutzt. So einfach können 5 Minuten der Entspannung sein.
Tag 56 – Behörden
Da heute jeder über das Bundesamt für Migration und Flüchtling (Bamf) redet und die einen sagen, dass die Beamten völlig überlastet sind und die anderen sagen, dass viel zu wenig und zu langsam gearbeitet wird, denke ich an meine bisherigen Erfahrungen.
„Sagen Sie mal, wie geht das eigentlich mit Oumous und Mamoudous Asylantrag weiter?“ Diese Frage stellte ich zwei Wochen, nachdem die beiden bei uns eingezogen waren, in einem Telefonat der städtischen Sozialarbeiterin. Eigentlich hatte sie angerufen, um sich nach dem Wohlbefinden der beiden zu erkundigen und Ihren Besuch für eine Woche später zu avisieren (gekommen ist sie bis heute nicht, aber das kann ich ihr als Alleinkämpferin mit einer Zuständigkeit für mehr als 200 Flüchtlinge auch nicht ankreiden). Die Gelegenheit schien mir aber günstig, sie gleich einmal nach dem weiteren Ablauf auszufragen, denn schließlich ist das nicht ganz unwichtig.
„Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, da wird es einen Brief geben, wenn es soweit ist.“
Klar, einen Brief. Dieser wird garantiert wieder in höchstem Beamtendeutsch sein, wir haben da nämlich, wenn es um Mittelzuweisung geht, schon einige. Diese Briefe führen bei Oumou immer zu einer totalen Verunsicherung, weil sie nicht weiß was drin steh und Angst hat, dass sie etwas geräumt oder falsch macht. Einfach wäre es natürlich, wenn diese Schriftstücke in den gängigsten Sprachen übersetzt wären: Englisch, französisch und arabisch. Sollte meiner meiner Meinung nach auch nicht so schwierig sein, da es sich um Formbriefe handelt und nur der Adressat und in diesem Fall eine Summe automatisch vom Programme eingesetzt werden. Jetzt bin ich immer sehr praktisch veranlagt und wage mal den: Einmal die Briefe professionell übersetzen lassen und ins system einpflegen und Zack, hätte man schon einige Probleme weniger. Denn was machen Flüchtlinge in den großen Wohnheimen? Nun, sie fragen die anderen Mitbewohner. Da aber nur alles in deutsch draufsteht und die meistens auch kein Deutsch sprechen, bleibt nur der Gang zur Sozialarbeiterin (die eh schon überlastet ist) oder zum Adressaten (meistens das städtische Sozialamt). Dort sitzen sie dann und „halten die Mitarbeiter von ihrer Arbeit ab“. Das nenne ich ineffektiv!
Aber das wollte ich eigentlich gar nicht schreiben.
„Was Oumou aber auf jeden Fall machen muss, ist die regelmäßige Meldung an die Ausländerbehörde.“ „Was? Welche Meldung?“ Mein Puls schoss in die Höhe, was hatten wir denn schon wieder verpasst? „Woher weiß sie denn, wann sie sich melden muss? Wo soll sie sich eigentlich melden?“ Ich war ganz schön aufgewühlt, da ich doch nur durch eine Nebenfrage gerade mit so einer wichtigen Tatsache konfrontiert wurde. „Das steht auf ihrem Erfassungsbogen oben drauf. Wo genau sie sich melden mus, kann ich nicht sagen, entweder beim Kreis oder der nahen, kreisfreien Stadt. Da muss sie sich durchfragen.“ Sie? Durchfragen? Logisch, das wird was geben.
Ich beendete das Gespräch schnell, ging zu Oumou und gemeinsam studierten wir diesen Bogen. Tatsächlich war die Genehmigung schon seit drei Tagen abgelaufen. Was hieß das jetzt? War Oumou illegal? Wieso ist das keinem aufgefallen und welche Konsequenzen kann das für Sie haben?
Ich griff zum iPad und schaute beim Kreis nach. Durch die gut strukturierten Internetseiten fand ich schnell zum Ziel, wählte die Nummer und wunderte mich. Ich wunderte mich, warum keiner mehr als Telefon ging, bis mir auffiel: Es war Freitag, nach 15 Uhr. Also Montag wieder.
„Schon abgelaufen? Ja, da müssen wir schnell handeln.“ Der Mitarbeiter beim Kreis hatte sich meine gesamte Erklärung am frühen Montag angehört und gemeinsam fanden wir dann mit Hilfe von Oumous Namen und dem Geburtsdatum die elektronischen Unterlagen der beiden. „Ich schaue mal, wer dafür zuständig ist und ob da diese Woche noch ein Termin frei ist.“ Eines war klar, die Vorstellung von schnell war bei uns beiden scheinbar völlig konträr. Während ich schon in meinem Terminkalender nachschaute, ob ich für eine Stunde frei machen könnte, um mit Oumou zum Kreis zu fahren, guckte der Sachbearbeiter nach, ob es diese Woche noch ginge.
„Bitte kommen Sie am Donnerstag zwischen 8 und 10 Uhr zu meiner Kollegin.“ Er nannte mir den Raum und gab mir noch eine genaue Wegbeschreibung, da der Eingang etwas abseits liegen sollte. „Ich sehe gerade, dass wir von Mamoudou noch gar kein Lichtbild haben. Könnten Sie dieses wohl am Donnerstag mitbringen?“ Ja, das sollte wohl klappen…
Donnerstag. Ich kenn mich durch diverse Sitzungen im Kreishaus eigentlich schon recht gut aus. „Rechts vom Bürgerbüro, noch vor den Treppen“, erinnerte ich mich an die Worte des Sachbearbeiters. Und tatsächlich, wenn man es wusste, war es nicht schwer zu finden. Alle anderen liefen garantiert erst einmal ins Bürgerbüro, denn ein Schild an der Tür gab es nicht.
Also traten Oumou und ich ein, ich orientierte mich kurz, um das richtige Büro anzusteuern. Überall saßen Menschen, offensichtlich ausländischer herkunft und warteten. Da wir aber einen Termin hatte (naja, so eine Zeitspanne) und die Tür zum Büro offen stand, klopfte ich freundlich an. Das Büro zeichnete sich durch zwei Schreibtische, die am Kopf zusammenstanden und an deren kurzer Seite jeweils ein Stuhl stand, aus. Am rechten Schreibtisch saß eine Dame und guckte in irgendwelche Aktenvermerk, am linken Schreibtisch stand eine Frau mit einer Flasche Sidolin und einem Lappen. Sie war aber offensichtlich keine Reinigungskraft, sondern Mitarbeiterin der Behörde.
„Guten Morgen, ich bin hier mit Oumou und die hat einen Termin bei Frau soundso.“ „Termin? Was denn für einen Termin? Ich bin Frau Soundso.“ Die Dame erhob sich, blieb aber an ihrem Schreibtisch, der ungefähr zwei Meter von der Tür, in der Oumou und ich standen entfernt war, stehen. „Ich hatte am Montag mit einem Kollegen von Ihnen gesprochen und da sie krank waren, hat er für heute einen Termin mit mir vereinbart.“ „Worum geht es denn?“
Ich blickte mich nur kurz um, denn draußen saßen eine Menge Leute und ich wollte mich auch nicht vordrängeln. Da die Dame aber fragte, schilderte ich das Problem. „Hat sie die Papiere mit?“ Auch das hatte ich ja nun schon öfter miterlebt, wenn ich dabei war, wurde nur über mich gesprochen, Oumou fand als Person erst einmal nicht statt. Oumou händigte ihr die Papiere aus, die die Dame genau studierte.“Entschuldigung, könnte ich wohl mal vorbei?“ Hinter uns schob sich eine Dame, bepackt mit einer Schreibtischunterlage und diversen Utensilien, vor und schließlich an uns, die wir immer noch in der Tür standen vorbei. Schien wohl großer Umzugs- und Großreinemachentag zu sein, ich fand es bei der Masse an Menschen vor der Tür und der Uhrzeit (es war mittlerweile nach neun) relativ unpassend. Gleichwohl war ich in anderer Mission unterwegs: „Ich habe auch noch ein Lichtbild von Mamoudou dabei, ihr Kollege meinte, das bräuchten sie.“
Etwas irritiert nahm sie das Bild an sich, sah, dass ich insgesamt 4 Bilder hatte und bat auch noch um die anderen. Gut dass ich die mitgenommen hatte, sonst hätten wir schon das erste Problem gehabt. „Von Oumou brauchen wir aber auch noch Lichtbilder.“ Ich traute meinen Ohren nicht. Warum denn das? Hatte ich nicht extra am Telefon gefragt, was mitzubringen ist? Hätte Oumou nun auch Bilder machen lassen, wäre ja kein Thema gewesen. „Aber auf der Bescheinigung ist doch ein Foto aufgedruckt, das ist doch noch gar nicht so alt. Wo sollen wir denn jetzt Fotos herbekommen!“ Ich sah mich schon ein weiteres Mal den Weg zum Kreis fahren. „Wir brauchen ein Original und einen Fotoautomaten haben wir im Foyer. Ich gucke mir solange die Unterlagen an.“
So, damit standen wir in der Tür, von der wir uns bislang noch nicht einen Zentimeter wegbewegt hatten und Oumou schaute mich fragend an. Gut, also dann zum Fotoautomaten. Eine gefühlte Ewigkeit war es her, dass ich mal so ein Ding benutzt hatte, aber schwierig könnte das ja wohl nicht sein. Denkste Puppe, denn als Erstes hatten wir einmal die Hürde des Geldeinwurfes zu nehmen. „6€, der Automat wechselt nicht.“ war darauf zu lesen. Oumou, die nur einen 5€ Schein dabei hatte, hielt ihn mir hin und in meiner Manteltasche fand sich doch tatsächlich ein 1 Euro Stück. Kurz fragte ich mich, was wohl die anderen machen, die nur mit scheinen ausgestattet vor dem Problem stand, als ich schon die hochschwangere Oumou in die Kabine manövrierte.
An der Wand war eine Erläuterung zur Bedienung in deutsch, englisch und türkisch, die halfen Oumou nicht weiter. Die Kabine sprach auch mit Oumou, allerdings lediglich auf deutsch. „Kopf drehen“, „nicht zu schräg halten“, „den Mund geschlossen“, „nicht lachen“ und so weiter kamen die Anweisungen wie aus der Pistole geschossen. Ich machte Oumou alles vor, drehte und schraubte an ihrem Kopf und dankte im Stillen eine eiteres mal dafür, dass Oumou so viel Vertrauen in mich hatte und alles geschehen lies. Zum Schluss musste noch ihr Spiegelbild im Bildschirm in eine angezeigte Schablone passen. Der Automat empfahl, dass man als Hilfe den Hocker, auf dem Oumou saß, durch drehen höhenverstellen sollte. Gesagt getan, ich riss Oumou hoch, drehte am Stuhl, setzte sie hin, bat sie wieder aufzustehen, drehte erneut am Stuhl und irgendwann passte es dann. Ich zeigte Oumou erneut, wie sie zu sitzen und gucken habe und dann ging es los.
Nachdem der Automat das Foto ausgespuckt hatte, gingen wir zurück zu dem Büro. Die freundliche Mitarbeiterin saß auch immer noch über Oumous Antrag, während auf der linken Seite die Umstrukturierungsarbeiten noch immer nicht abgeschlossen waren. „So schnell?“ Ich guckte auf die Fotos in Oumous Hand, hatten wir was falsch gemacht? Wahrscheinlich war das wieder die Sache mit den unterschiedlichen Vorstellungen von schnell…
Dieses Mal durften wir kurz im Wartezimmer Platz nehmen und mussten nicht in der Tür warten. Nach 5 Minuten kam die Mitarbeiterin raus und steuerte direkt auf uns zu. „So, da wir alles jetzt schon zusammen haben, habe ich den Antrag bis zum 31.3. verlängert. Oumou sollte Ihren Wohnort am Besten bis zum 31.12. nicht verlassen (ha, hatte sie ja schon, denn das Kreishaus befindet sich in der Nachbarstadt), im Bundesland muss sie aber unbedingt bis zu diesem Zeitpunkt bleiben.“ Alles klar, auch das war mir neu, aber egal. Wir bekamen noch eine Karte unseres Bundeslandes in die Hand gedrückt und waren fertig.
Ein letzter Blick zurück auf die Wartenden zeigte mir, wir waren die letzten die gekommen waren, aber die ersten die gingen. Die anderen hatten keinen Übersetzer mitgebracht bzw. niemanden der scheinbar so forsch zu Werke ging wie ich.
Draußen guckte Oumou mich an und ihr Blick sagte nur eins “ Was? War? Das?“. „Ach Oumou, gewöhn Dich dran, das ist deutsche Bürokratie.“
Tag 54 – Der Wunschzettel
„Mama, Wunschzettel schreiben.“ Wer auch immer Felix diesen floh ins Ohr gesetzt hat, ich vermute stark meine Schwester, Felix hat seit Tagen kein anderes Thema.
Mamoudou hört immer ganz interessiert zu, kann die Dramatik aber nicht nachvollziehen.
Heute war es dann soweit. Bescheidenes Wetter sorgte für das ideale Ambiente. Max versuchte mit Händen und Füßen Mamoudou zu erklären, wozu er seine Wünsche aufschreiben soll. Mittlerweile hat er aber einen dermaßen großen Spaß an allem, was mit Weihnachten zu tun hat. Besonders die Lieder haben es ihm angetan und so gilt schon lange nicht mehr „ich nix noel“ 😉
Einträchtig saßen sie beieinander und niemand hätte vermutet, dass dieser kleine Junge nicht dazugehören könnte.
Tag 51 – Schlaf
Über den heutigen Tag gibt es einiges zu erzählen, aber das ist nichts im Vergleich zu dem:
Mamoudou hat verschlafen!
Jetzt denkt jeder, der Kinder hat oder selbstkritisch genug ist „Ok, das kenne ich, na und?“. Wenn man aber weiß, dass dieser kleine Junge von jetzt 9 Jahren, niemals vor halb 12 einschläft, bei voller Beleuchtung versteht sich und meistens schon mit Tobias um 5, spätestens mit mir um halb sechs wieder aufsteht, dann ist das Verschlafen ein wunderbares Geschenk.
Für uns zeigt sich damit, dass Mamoudou angekommen ist. Er spricht schon sehr gut Deutsch, freut sich, wenn ich ihn mit den Hausaufgaben und meiner Strenge trieze (ich wünschte Max würde sich darüber nur annähernd so freuen 😉 ) und nimmt bereits sehr aktiv am Dorfleben teil. Er hat Freunde und liebt es, gemeinsam mit uns, Weihnachtslieder zu singen.
Wir alle machen uns keine Vorstellung, was dieser kleine Kerl in den 9 Monaten der Flucht aus Guinea erleben und erleiden musste. Wir erleben häufig, dass er sich einen kindlichen Schutzmechanismus aufgebaut hat, an dem alles abzuprallen scheint. In manchen Momenten sieht man aber hinter die Fassade und das, was man da sieht, ist erschütternd.
Kein Kind dieser Welt, sollte das erleiden müssen!
Mamoudou hat verschlafen und ich, ich habe geweint vor Glück.
Tag 50 – Diskussionen
Wie in jeder Familie und als das fühlen wir uns, als Familie, gibt es nicht immer nur sonnige Tage und so verwundert es nicht, dass es heute einmal etwas stürmisch zuging.
Dazu muss man sagen, dass mich so schnell nichts aus der Ruhe bringt, allerdings fordern unsere momentane Situation, das Weihnachtsgeschäft in der Firma und nicht zuletzt die Erkältung, die Felix, Lukas und mich voll im Griff hat, ihren Tribut.
Schlimm genug, dass Mamoudou momentan die Ernsthaftigkeit bei den Hausaufgaben vermissen lässt, Oumou interessiert sich nun gar nicht dafür, was ihr Sohn macht oder eben nicht macht. Es ist mir schleierhaft, hat sie doch den ganzen Tag Zeit. Trotzdem ermahnt sie ihren Sohn nicht, die Hausaufgaben zu machen. Erst wenn ich von der Arbeit komme, fängt der junge Mann an zu arbeiten. Dass das dann Spannungen gibt, weiß jeder, der schulpflichtige Kinder hat. 😉
Was mich momentan stört, ist die gewisse Lethargie, die Oumou umgibt. Alles ist ihr momentan zu viel. Am Montag habe ich Moustaf sogar für drei Stunden mit in die Firma genommen, weil sie dringend schlafen musste und das angeblich mit dem Kleinen nicht machen konnte.
So freute sich Lukas, nicht allein zu sein, doch er wurde bitter enttäuscht, denn Mustaf hat über drei Stunden friedlich geschlafen, was für einen Säugling im Alter von einer Woche, durchaus normal ist.
Das Problem ist, dass Oumou der eigene Antrieb fehlt. Sie möchte nicht unbedingt etwas Neues lernen. Auch das ist etwas, was sie nie gelernt hat und etwas, was unsere Kulturen unterscheidet. In ihrer Heimat hat ihr Ehemann das für Sie erledigt, später dann wieder ihre Mutter.
Wo wir bei dem Thema Mutter sind, sie sieht mich als ihre „Deutsche Mutter“ an. Sie hat das ihrer Deutschlehrerin erklärt und mich damit verblüfft, schließlich trennen uns nur 14 Jahre, aber in Guinea ist das natürlich völlig normal.
Allerdings bin ich mir bewusst, dass Oumou, sofern sie in Deutschland bleiben darf, lernen muss, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ihr das beizubringen wird uns alle noch ziemlich viel Mühe kosten, aber nur so wird sie das Leben mit zwei Kindern bewältigen können ohne ihr Leben lang abhängig zu sein und das ist doch auch etwas, was unser Leben ausmacht…
Tag 48 – Mamoudou und das AWO Adventskaffeetrinken
„Weihnachtszeit! Weihnachtszeit! Weihnachtszeit!“ So geht das jetzt schon seit Freitag und wenn Mamoudou das nicht mit so einer Inbrunst verkünden würde, dann könnte ich schon fast genervt sein.
Was war passiert? Bei u.ns im Dorf ist es üblich, dass zu verschiedenen Festivitäten der Kindergarten und die Schule Aufführungen beisteuern. Ganz beliebt dafür ist natürlich die Adventszeit. Jetzt ist es für unsere muslimischen Mitbewohner eh schon mehr als merkwürdig, dass ich wie eine Irre durchs Haus gehe und ausfallen Ecken Weihnachtsdekoration hervorzaubere. Aber auch in der Schule wird gebacken, gesungen und gebastelt.
Für die heutige Adventsfeier der Senioren im Ort ist Mamoudou’s Klasse auserwählt und darf etwas vortragen. Die Klassenlehrerin hatte dann die Idee, dass Mamoudou die Abschlussworte sprechen sollte und hatte diese auch extra für ihn angepasst.
Mit der Notiz „Mamoudou soll seinen Text noch ein wenig üben.“ kam er freudig am Freitag nach Hause. Seine Freude war groß, doch meine Hartnäckigkeit, dass er die Worte richtig lernen die nd aussprechen sollte, schmälerte das Ganze ein wenig. Also übten wir zusammen, bis selbst Felix wie ein Mantra das Wort „Weihnachtszeit“ vor sich herbetete.
So gut Mamoudou die Worte am Freitag auch schon wusste, am Samstag war davon nichts mehr übrig. Also fing das Ganze wieder von vorne an. Am Sonntag würde ich schon langsam nervös, denn viel hatte er sich bei diesem kurzen Text noch nicht gemerkt. Ihm fehlte, wie in vielen anderen Situationen auch, die Ernsthaftigkeit. Das allerdings rief Oumou auf den Plan, die mittlerweile von der 50. Wiederholung des Wortes „frohe“ so angenervt war, das sie vor ihm stand und nahezu den kompletten Text selber vorsagte und dabei immer rief „frooohhhe“, „frooohhhhe“ und dabei wild gestikulierte. Nach zwei Minuten hatten wir beiden einen Lachkrampf. Mamoudou war mittlerweile der Überzeugung, dass nicht nur ich verrückt sei, sondern seine Mutter auch. „Ich nix Noel“, rief er wutentbrannt und eine doppeltes „egal“ schalt ihm zurück.
Um 16:00 Uhr bei der Aufführung lief dann alles wunderbar, aber überzeugt Euch doch selbst:
Tag 48 – Familienleben (von Tobias)
Heute morgen bin ich – zum xten Mal, seit Oumou und Mamoudo und jetzt auch Moustaf bei uns sind – mal wieder mit schlechten Gewissen für mehrere Tage weg gefahren, diesmal zu einer schon lange geplanten Fortbildung. Diana, Felix und Lukas sind stark erkältet und Max hat mal wieder vorpubertäre Anwandlungen. Ich wäre nicht gefahren, wenn Diana mich nicht quasi weg geschickt hätte. Ich bewundere es, wie straight sie die Dinge trotz aller Widrigkeiten immer wieder durchzieht und liebe sie auch für ihre Konsequenz. „Lebbe geht weider“. Dieses Zitat von Dragoslav Stepanovic wird mehr und mehr zu ihrem und unser aller Motto. Gleichzeitig mache ich mir unheimlich Sorgen um sie und frage mich, wie lange sie das durchziehen kann…
Was sie – unter anderem – aufrecht hält, ist die Freude und Dankbarkeit, die immer wieder in den Augen von Oumou und Mamoudo aufblitzt. Und natürlich trägt auch der neue Erdenbürger Moustaf mit dazu bei, selbst zu erkennen, wofür man das letztlich alles tut: für die Kinder dieser Erde – egal welche Hautfarbe sie haben. Ich selbst war bei der Geburt von Felix und Lukas dabei und war damals, wie auch heute, als ich Moustaf das erste Mal auf dem Arm hatte, nachhaltig angefasst und vor allem beeindruckt vom Wunder des Lebens oder, wie ich immer sage, davon, was aus einem kleinen Klumpen Eiweiß werden kann…
Unser Alltag ist derzeit ziemlich durchgetaktet. Montags hat Felix Musikschule und Max Tennisunterricht, ich alle 2 Wochen CDU-Fraktion, Dienstags Lukas Krabbelgruppe und Max Fußballtraining und/oder Konfirmationsunterricht, Mittwochs ist dann und wann ein Fußballspiel von Max oder Diana hat Lions-Meeting, Donnerstag habe ich Rotary-Meeting, Freitags haben Max und Felix Fußballtraining und in der Regel vergeht kein Wochenende, an dem nicht irgendein Fußballspiel oder -turnier stattfindet. Hinzu kommen unser beider beruflicher Verpflichtungen sowie das Engagement bei der IHK. Alle im Zusammenhang mit Oumou, Mamoudo und Moustaf anstehenden Aktivitäten, von denen Diana einige beschrieben hat, fallen zusätzlich an…
Was macht das alles mit uns, als Familie, aber auch als Paar? Es schweißt uns – letztendlich – noch enger zusammen. Wir schaffen es in der Regel, entweder abends oder am folgenden Morgen nochmals den vergangenen Tag Revue passieren zu lassen und wir passen darauf auf, weiterhin genügend „Kuscheleinheiten“, auch für die Kinder, zu haben. Wichtig ist – und war es auch im „normalen“ Familienleben, bevor die drei zu uns kamen – offen miteinander umzugehen und vor allem auch mal „Stopp“ zu rufen, wenn es bei einem von uns nicht mehr geht. Das funktioniert – je nach individuellem Gesundheitszustand, mehr oder weniger ausreichendem Schlafpensum und „gute Laune – Faktor“ – bei jedem von uns mal besser und mal schlechter, ist unserer Meinung nach aber zwingend die Voraussetzung dafür, dass unser Leben so, wie wir es führen möchten, auch funktioniert…
Von meinen Seminarkollegen hier in Marburg sind mir – wie von vielen anderen bislang auch – sehr viel Respekt, Bewunderung und lobende Worte für unser Tun entgegen gebracht worden. Das tut gut und bestätigt uns auch darin, dass es – bei allen Einschränkungen, die es mit sich bringt – richtig ist, was wir tun. Es geht uns aber nicht um’s Lob. Die Integration an sich, das Bedürfnis helfen zu wollen, ist das, was uns antreibt. Und wir freuen uns über jede(n), der sich das als Beispiel nimmt und schaut, wo und was er/sie in seiner/ihrer Region tun kann. Ein bisschen Zeit, Geld oder auch Platz kann jeder von uns erübrigen.
Tag 45 – Anmeldung
„Für eine Geburtsurkunde benötigen wir den Pass der Mutter.“ Und da waren sie wieder meine drei Probleme. „Hat sie aber nicht.“ „Das ist aber schlecht.“ Gut, dass ich erst einmal im Standesamt angerufen habe, mit der Dame Angesicht zu Angesicht, hätten meine Flecken am Hals meine aufkochende Wut sicherlich verraten.
Im Umgang mit Behörden habe ich in den letzten Wochen einiges gelernt:
1. Bei einem Termin vor Ort: Zieh Dich an wie zu einem Businesstermin. Dies hebt Dich aus der Masse raus und signalisiert, dass das Gespräch mit Dir anders laufen könnte.
2. Wundere Dich nicht, wenn Dir gleich am Anfang Sätze wie „Das ist aber schlecht“, „Das gibt die Verordnung XYZ nicht her.“, „Diesen Fall hatte ich persönlich noch nicht.“ und mein Lieblingssatz, „Dafür bin ich gar nicht zuständig.“.
3. Selbst wenn Deine Halsschlagader zu platzen droht, tief durchatmen und freundlich lächeln.
4. Die Situationen schon im Vorfeld gut durchdenken und selber überlegen, wie der Weg zum Ziel aussehen könnte.
5. Im Gespräch immer mitdenken und den selbstausgedachten Weg dahingehend gedanklich überarbeiten und anpassen.
6. Wichtig! Den eigenen Weg niemals einfach vorstellen, sondern immer so einfließen lassen, dass die Erkenntnis beim Gegenüber reifen kann.
Ich atmete tief durch, „Ja sicher ist das schlecht, aber Oumou ist doch nicht die erste Flüchtlingsfrau. Die ein Kind in ihrem Ort entbindet. Wie läuft das denn sonst?“ Worsichtig rantasten.
„Kann ich nicht sagen, da bin ich nicht zuständig.“ Ahh, da war er wieder, dieser Satz! „Da kommen Sie am Besten vorbei und sprechen mit meiner Kollegin.“ Na guck, geht doch. „Bringen Sie alle Unterlagen mit.“ „Was heißt denn ALLE? Was genau benötigen Sie denn?“ „Kann ich nicht sagen, bringen Sie einfach alle Unterlagen mit, meine Kollegin sucht sich dann schon die richtigen raus.“
Aha, nun startete ich den letzten Versuch: „Braucht sie denn nicht auch eine Bestätigung der Klinik?“ „Na, aber sicher. Die Geburtsanzeige und das Beiblatt, welches Sie im Krankenhaus bekommen. Das muss sie auch unterschreiben. Sonst können wir gar nichts machen.“
Ja, ja, wer fragt gewinnt. Leider hat die entsprechende Stelle im Krankenhaus so blöde Sprechzeiten, so dass ich erst nächste Woche dazu kommen werde. Ich bin gespannt.
Tag 44 – Der Geburtstag
Um 7:03 Uhr bin ich im Bett hochgeschreckt. Mein Kopf schmerzte unerträglich, aber Mamoudou brauchte doch seine Muffins, schließlich hatte er doch Geburtstag! Ich schaffte es aber nicht, mich aufzuraffen und so schrieb ich völlig verzweifelt unserer Nachbarin, bei der Mamoudou geschlafen hatte und die sich so liebevoll um ihn gekümmert hatte, dass Sie bitte gerade Mamoudou rüberschicken sollte und quälte mich aus dem Bett.
„Gott, siehst Du Scheiße aus, was machst Du denn hier? Geh wieder ins Bett!“ Ja, das ist es, was eine Frau hören will, auch wenn ich ihr im Stillen ja Recht gab. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag Mamoudou und alles Liebe!“, ich schaute an unsere Nachbarin vorbei zu Mamoudou, der mit dem ganzen Trubel um seinen Geburtstag irgendwie gar nichts anfangen konnte.
„Danke“, irgendwie war es ihm unangenehm, aber auf der anderen Seite blitzte auch eine gewisse Neugier auf.
„Wir sehen uns heute Mittag und dann fahren wir zu Deiner Mama, ok?“ Ein leichtes Schulterzucken und ein „ok“, waren das, was ich zurück bekam.
Nach einem harten Tag im Büro, den ich nur dank Kaffee überlebte, machten sich Mamoudou, Felix, Lukas und ich auf ins Krankenhaus. Ein buntes Kuddelmuddel, das viele Blicke auf sich zog. Oumou sah um so vieles jünger aus als die Wochen vorher und sie strahlte! Vor ihr lag dieser unglaublich kleine Kerl, zufrieden vor sich hin träumend. Felix und Lukas stürmten einfach drauf los und besonders Felix überschüttete Moustaf mit seiner ganzen Liebe und mit ein paar Streicheleinheiten. Nur Mamoudou tat so, als ob ihn das alles nichts anginge und blickte neugierig, aber mit Distanz zum Bett.
Ich war etwas irritiert, besonders dann, als Oumou ihn auch nicht sonderlich beachtete. Allerdings hatte sie auch bei Moustaf keine besondere Herzlichkeit gezeigt. Man muss dazu sagen, dass Gefühlsregungen bei beiden eher nicht an der Tagesordnung sind, sowohl untereinander als auch gegenüber bestimmten Situationen. Da weiß man nie, wo man dran ist.
Bei uns ist das ganz anders, da wird geknuddelt und gekuschelt bis der Arzt kommt. Das bekommen die Beiden auch mit.
Mag es auch einen kulturellen Hintergrund haben, ich möchte die Situation nicht und so fragte ich Oumou, ob Mamoudou seinen kleinen Bruder auf den Arm nehmen dürfe. „Ja“, sie nickte ! Schaute aber gleichzeitig etwas irritiert. Ich verfrachtete Mamoudou in einen Sessel und gab ihm Moustaf, der das Ganze in äußerster Gelassenheit über sich ergehen ließ. Da taute dann auch der große Bruder auf und ihm war es gar nicht Recht, dass Felix immer mit den Worten „Ich auch Arm nehmen, ich auch Arm nehmen“ um ihn rumsprang.
Ich erinnerte Oumou daran, dass Mamoudou doch Geburtstag habe. Das war ihr bewusst, sie wusste aber nicht, warum ich ihr das sagte. Gratuliert hat sie allerdings nicht.
Zurück zu Hause, bereiteten Max und Mamoudou den großen Esstisch vor, denn bei aller Freude über die Moustaf, einen Geburtstag hatten wir auch noch zu feiern. Dazu hatten sich auch meine Mutter, meine Schwester und unsere Nachbarin angekündigt. Als dann noch Tobias relativ gut auf der Autobahn durchkam, konnte die Party beginnen.
Alles war dekoriert und jeder brachte Geschenke mit. Mamoudou nahm sie schüchtern entgegen und es bedurfte einiger Ermutigungen, dass er sie auch auspackte.
„Ohhh, DANKE“, die Augen glitzerten und funkelten, denn meine Mutter hatte mit einer giftgrünen Uhr den Vogel abgeschossen. Ungläubig schaute er meine Mutter an: „Meins?“
Nachdem dann auch noch die Riesenpizzen geliefert wurden und alles im Esszimmer durcheinander redete, wir aßen und Mamoudou vor sich hin sang, da war es ein ganz normaler Geburtstag, der für die Hauptperson aber keineswegs normal war.
Tobias und ich schauten uns an und dachten beide das Gleiche: hier saßen die Menschen ohne die wir dieses ganze Abenteuer gar nicht durchführen könnten. Meine Mutter, die sich überall einbringt und einspringt, wenn Not am Mann ist, meine Schwester, die mit ihrer frischen Art und ihrem besonderen Zugang zu den Kids, noch mal einen anderen Schwung reinbringt und unsere Nachbarin, die immer da ist und anpackt, wenn sie etwas sieht. Diese drei Frauen sind wir so dankbar!


