Monat: Januar 2016
Tag 86 – Schnee
„Mama, ich gehe gleich mit Mamoudou Schlitten fahren.“
Mein verwirrter Blick ging gleich aus meinem Bürofenster. „Schlitten fahren, im Ernst?“ Ich fragte lieber zur Sicherheit noch mal bei Max nach.
„Ja, er möchte das unbedingt.“
Ich atmete tief durch. „Max, Mamoudou kennt keinen Schnee und hat keine Ahnung, was Schlitten fahren ist. Tolle Idee, aber sollten wir nicht warten, bis wir auch richtig Schnee haben?“
„Also hier ist alles weiß.“
Jetzt musste ich schallend lachen, denn „hier“ war zu Hause und mein Büro befindet sich keinen Kilometer Luftlinie von „hier“ entfernt und ja, wir hatten seit gestern Abend leichten Schneefall und ja, Lukas, Felix und Mamoudou haben heute eine halbe Stunde am Fenster gestanden und alle drei fasziniert nach draußen geguckt. Ich atmete tief durch. „Für das Schlitten fahren braucht Ihr etwas mehr Schnee als das bisschen, was da den Boden bedeckt. Macht Euch nicht lächerlich…“
„Ok, dann machen wir halt ne Schneeballschlacht.“ Die Leitung war tot.
Als ich nach Hause kam, konnte ich dann ein Cabrio Iglu bewundern, denn zu mehr hatte der gesamte Schnee in der gesamten Nachbarschaft nicht gereicht. Allerdings ackerten Max, Felix und Mamoudou mit Schaufel, Traktor, Eimer und Schippe wie die Großen und hatten eine Menge Spaß.
Als sie dann nach Hause kamen, war Mamoudou selig und glücklich und erzählte nur von Schnee.
„Diana, ein bisschen kalt ist das, muss das so?“
Tag 82 – Motivation
„Es ist der Größte kulturelle Unterschied, der Euch im Zusammenleben auffällt?“
Na, das war doch mal eine Frage und dazu noch eine, die man nicht einfach spontan beantworten kann. Nach einigem Nachdenken sind Tobias und ich uns aber einig: „Die Motivation“
„Motivation? Für was oder wen?“ Unser Gegenüber hatte scheinbar mit vielen Antworten gerechnet, aber nicht mit dieser.
Vielleicht wird es aber an einigen Beispielen deutlicher. Tobias und ich arbeiten beide Vollzeit und unsere Motivation ist der Spaß an der Arbeit und daran, etwas erreichen zu können. Wir haben uns bewusst für ein Leben mit mittlerweile drei Kindern entschieden und unsere Motivation ist auch da, die Kids, individuell nach ihrem Charakter und ihren Fähigkeiten zu fördern, aber auch zu fördern. Wir sind beide ehrenamtlich engagiert und auch hier ist unsere Motivation das Glück, welches wir bislang im Leben hatten, aber auch die Möglichkeiten (nicht materiell!) zum Wohle anderer, der Gemeinschaft, einzusetzen. Einfach nur für uns zu leben, entspricht nicht unserem Charakter.
Jetzt zu der anderen Seite. Oumou hat sich mit einem achtjährigen Sohn und gerade so schwanger auf den Weg gemacht, um der Gewalt, den Dramen und der Hoffnungslosigkeit zu entfliehen. Dabei hat sie ihr eigenes Land verlassen, musste fremden Menschen vertrauen, verlor auf einem Boot ihren Liebsten, kämpfte sich durch, um im Erstaufnahmelager ihren Sohn zu verteidigen und daraufhin im Krankenhaus zu landen.
Jetzt ist sie hier bei uns, in Sicherheit und mit vielen Möglichkeiten ausgestattet, die andere Flüchtlinge momentan nicht ansatzweise haben und sie lässt sich zu nichts bewegen. Am Liebsten schläft sie und füttert nonstop Moustaf. Wenn ich ihr etwas zeige, dann macht sie es, scheinbar auch gerne, aber sobald ich ihr den Rücken zuwende, fällt sie in ihren eigenen Trott. Sie ist nicht interessiert an den Dingen die wir tun, außer wir fordern Sie auf. Dann ist sie meistens extrem geschickt und mit Spaß dabei.
Oumou sucht sich keine Betätigung, auch wenn es hier genug davon gäbe. Viele Menschen kommen vorbei, um mit ihr zu reden oder sie einzuladen. Diese ihr bietenden Möglichkeiten nimmt sie nicht wahr.
Sie denkt auch gar nicht daran, dass sie Mamoudou morgens Frühstück macht, ein Butterbrot für die Schule oder mittags ein Essen.
Selbst ein Spaziergang durchs Dorf oder ein Besuch der nächsten Stadt erfolgen immer nur auf meine Anregung hin, aber dann mit voller Begeisterung.
Im neuen Jahr müssen wir dringend an die Frage: Wie stellt sie sich die Zukunft vor! An schlechten Tagen sage ich dann, sie hat keine Vorstellung, an guten will ich das aber absolut nicht glauben, schon aufgrund der Kinder.
