Tag 56 – Behörden

Da heute jeder über das Bundesamt für Migration und Flüchtling (Bamf) redet und die einen sagen, dass die Beamten völlig überlastet sind und die anderen sagen, dass viel zu wenig und zu langsam gearbeitet wird, denke ich an meine bisherigen Erfahrungen.

„Sagen Sie mal, wie geht das eigentlich mit Oumous und Mamoudous Asylantrag weiter?“ Diese Frage stellte ich zwei Wochen, nachdem die beiden bei uns eingezogen waren, in einem Telefonat der städtischen Sozialarbeiterin. Eigentlich hatte sie angerufen, um sich nach dem Wohlbefinden der beiden zu erkundigen und Ihren Besuch für eine Woche später zu avisieren (gekommen ist sie bis heute nicht, aber das kann ich ihr als Alleinkämpferin mit einer Zuständigkeit für mehr als 200 Flüchtlinge auch nicht ankreiden). Die Gelegenheit schien mir aber günstig, sie gleich einmal nach dem weiteren Ablauf auszufragen, denn schließlich ist das nicht ganz unwichtig.

„Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, da wird es einen Brief geben, wenn es soweit ist.“ 

Klar, einen Brief. Dieser wird garantiert wieder in höchstem Beamtendeutsch sein, wir haben da nämlich, wenn es um Mittelzuweisung geht, schon einige. Diese Briefe führen bei Oumou immer zu einer totalen Verunsicherung, weil sie nicht weiß was drin steh und Angst hat, dass sie etwas geräumt oder falsch macht. Einfach wäre es natürlich, wenn diese Schriftstücke in den gängigsten Sprachen übersetzt wären: Englisch, französisch und arabisch. Sollte meiner meiner Meinung nach auch nicht so schwierig sein, da es sich um Formbriefe handelt und nur der Adressat und in diesem Fall eine Summe automatisch vom Programme eingesetzt werden. Jetzt bin ich immer sehr praktisch veranlagt und wage mal den: Einmal die Briefe professionell übersetzen lassen und ins system einpflegen und Zack, hätte man schon einige Probleme weniger. Denn was machen Flüchtlinge in den großen Wohnheimen? Nun, sie fragen die anderen Mitbewohner. Da aber nur alles in deutsch draufsteht und die meistens auch kein Deutsch sprechen, bleibt nur der Gang zur Sozialarbeiterin (die eh schon überlastet ist) oder zum Adressaten (meistens das städtische Sozialamt). Dort sitzen sie dann und „halten die Mitarbeiter von ihrer Arbeit ab“. Das nenne ich ineffektiv!

Aber das wollte ich eigentlich gar nicht schreiben.

„Was Oumou aber auf jeden Fall machen muss, ist die regelmäßige Meldung an die Ausländerbehörde.“ „Was? Welche Meldung?“ Mein Puls schoss in die Höhe, was hatten wir denn schon wieder verpasst? „Woher weiß sie denn, wann sie sich melden muss? Wo soll sie sich eigentlich melden?“ Ich war ganz schön aufgewühlt, da ich doch nur durch eine Nebenfrage gerade mit so einer wichtigen Tatsache konfrontiert wurde. „Das steht auf ihrem Erfassungsbogen oben drauf. Wo genau sie sich melden mus, kann ich nicht sagen, entweder beim Kreis oder der nahen, kreisfreien Stadt. Da muss sie sich durchfragen.“ Sie? Durchfragen? Logisch, das wird was geben. 

Ich beendete das Gespräch schnell, ging zu Oumou und gemeinsam studierten wir diesen Bogen. Tatsächlich war die Genehmigung schon seit drei Tagen abgelaufen. Was hieß das jetzt? War Oumou illegal? Wieso ist das keinem aufgefallen und welche Konsequenzen kann das für Sie haben?

Ich griff zum iPad und schaute beim Kreis nach. Durch die gut strukturierten Internetseiten fand ich schnell zum Ziel, wählte die Nummer und wunderte mich. Ich wunderte mich, warum keiner mehr als Telefon ging, bis mir auffiel: Es war Freitag, nach 15 Uhr. Also Montag wieder.

„Schon abgelaufen? Ja, da müssen wir schnell handeln.“ Der Mitarbeiter beim Kreis hatte sich meine gesamte Erklärung am frühen Montag angehört und gemeinsam fanden wir dann mit Hilfe von Oumous Namen und dem Geburtsdatum die elektronischen Unterlagen der beiden. „Ich schaue mal, wer dafür zuständig ist und ob da diese Woche noch ein Termin frei ist.“ Eines war klar, die Vorstellung von schnell war bei uns beiden scheinbar völlig konträr. Während ich schon in meinem Terminkalender nachschaute, ob ich für eine Stunde frei machen könnte, um mit Oumou zum Kreis zu fahren, guckte der Sachbearbeiter nach, ob es diese Woche noch ginge. 

„Bitte kommen Sie am Donnerstag zwischen 8 und 10 Uhr zu meiner Kollegin.“ Er nannte mir den Raum und gab mir noch eine genaue Wegbeschreibung, da der Eingang etwas abseits liegen sollte. „Ich sehe gerade, dass wir von Mamoudou noch gar kein Lichtbild haben. Könnten Sie dieses wohl am Donnerstag mitbringen?“ Ja, das sollte wohl klappen…

Donnerstag. Ich kenn mich durch diverse Sitzungen im Kreishaus eigentlich schon recht gut aus. „Rechts vom Bürgerbüro, noch vor den Treppen“, erinnerte ich mich an die Worte des Sachbearbeiters. Und tatsächlich, wenn man es wusste, war es nicht schwer zu finden. Alle anderen liefen garantiert erst einmal ins Bürgerbüro, denn ein Schild an der Tür gab es nicht.

Also traten Oumou und ich ein, ich orientierte mich kurz, um das richtige Büro anzusteuern. Überall saßen Menschen, offensichtlich ausländischer herkunft und warteten. Da wir aber einen Termin hatte (naja, so eine Zeitspanne) und die Tür zum Büro offen stand, klopfte ich freundlich an. Das Büro zeichnete sich durch zwei Schreibtische, die am Kopf zusammenstanden und an deren kurzer Seite jeweils ein Stuhl stand, aus. Am rechten Schreibtisch saß eine Dame und guckte in irgendwelche Aktenvermerk, am linken Schreibtisch stand eine Frau mit einer Flasche Sidolin und einem Lappen. Sie war aber offensichtlich keine Reinigungskraft, sondern Mitarbeiterin der Behörde.

„Guten Morgen, ich bin hier mit Oumou und die hat einen Termin bei Frau soundso.“ „Termin? Was denn für einen Termin? Ich bin Frau Soundso.“ Die Dame erhob sich, blieb aber an ihrem Schreibtisch, der ungefähr zwei Meter von der Tür, in der Oumou und ich standen entfernt war, stehen. „Ich hatte am Montag mit einem Kollegen von Ihnen gesprochen und da sie krank waren, hat er für heute einen Termin mit mir vereinbart.“ „Worum geht es denn?“

Ich blickte mich nur kurz um, denn draußen saßen eine Menge Leute und ich wollte mich auch nicht vordrängeln. Da die Dame aber fragte, schilderte ich das Problem. „Hat sie die Papiere mit?“ Auch das hatte ich ja nun schon öfter miterlebt, wenn ich dabei war, wurde nur über mich gesprochen, Oumou fand als Person erst einmal nicht statt. Oumou händigte ihr die Papiere aus, die die Dame genau studierte.“Entschuldigung, könnte ich wohl mal vorbei?“ Hinter uns schob sich eine Dame, bepackt mit einer Schreibtischunterlage und diversen Utensilien, vor und schließlich an uns, die wir immer noch in der Tür standen vorbei. Schien wohl großer Umzugs- und Großreinemachentag zu sein, ich fand es bei der Masse an Menschen vor der Tür und der Uhrzeit (es war mittlerweile nach neun) relativ unpassend. Gleichwohl war ich in anderer Mission unterwegs: „Ich habe auch noch ein Lichtbild von Mamoudou dabei, ihr Kollege meinte, das bräuchten sie.“ 

Etwas irritiert nahm sie das Bild an sich, sah, dass ich insgesamt 4 Bilder hatte und bat auch noch um die anderen. Gut dass ich die mitgenommen hatte, sonst hätten wir schon das erste Problem gehabt. „Von Oumou brauchen wir aber auch noch Lichtbilder.“ Ich traute meinen Ohren nicht. Warum denn das? Hatte ich nicht extra am Telefon gefragt, was mitzubringen ist? Hätte Oumou nun auch Bilder machen lassen, wäre ja kein Thema gewesen. „Aber auf der Bescheinigung ist doch ein Foto aufgedruckt, das ist doch noch gar nicht so alt. Wo sollen wir denn jetzt Fotos herbekommen!“ Ich sah mich schon ein weiteres Mal den Weg zum Kreis fahren. „Wir brauchen ein Original und einen Fotoautomaten haben wir im Foyer. Ich gucke mir solange die Unterlagen an.“

So, damit standen wir in der Tür, von der wir uns bislang noch nicht einen Zentimeter wegbewegt hatten und Oumou schaute mich fragend an. Gut, also dann zum Fotoautomaten. Eine gefühlte Ewigkeit war es her, dass ich mal so ein Ding benutzt hatte, aber schwierig könnte das ja wohl nicht sein. Denkste Puppe, denn als Erstes hatten wir einmal die Hürde des Geldeinwurfes zu nehmen. „6€, der Automat wechselt nicht.“ war darauf zu lesen. Oumou, die nur einen 5€ Schein dabei hatte, hielt ihn mir hin und in meiner Manteltasche fand sich doch tatsächlich ein 1 Euro Stück. Kurz fragte ich mich, was wohl die anderen machen, die nur mit scheinen ausgestattet vor dem Problem stand, als ich schon die hochschwangere Oumou in die Kabine manövrierte.

An der Wand war eine Erläuterung zur Bedienung in deutsch, englisch und türkisch, die halfen Oumou nicht weiter. Die Kabine sprach auch mit Oumou, allerdings lediglich auf deutsch. „Kopf drehen“, „nicht zu schräg halten“, „den Mund geschlossen“, „nicht lachen“ und so weiter kamen die Anweisungen wie aus der Pistole geschossen. Ich machte Oumou alles vor, drehte und schraubte an ihrem Kopf und dankte im Stillen eine eiteres mal dafür, dass Oumou so viel Vertrauen in mich hatte und alles geschehen lies. Zum Schluss musste noch ihr Spiegelbild im Bildschirm in eine angezeigte Schablone passen. Der Automat empfahl, dass man als Hilfe den Hocker, auf dem Oumou saß, durch drehen höhenverstellen sollte. Gesagt getan, ich riss Oumou hoch, drehte am Stuhl, setzte sie hin, bat sie wieder aufzustehen, drehte erneut am Stuhl und irgendwann passte es dann. Ich zeigte Oumou erneut, wie sie zu sitzen und gucken habe und dann ging es los.

Nachdem der Automat das Foto ausgespuckt hatte, gingen wir zurück zu dem Büro. Die freundliche Mitarbeiterin saß auch immer noch über Oumous Antrag, während auf der linken Seite die Umstrukturierungsarbeiten noch immer nicht abgeschlossen waren. „So schnell?“ Ich guckte auf die Fotos in Oumous Hand, hatten wir was falsch gemacht? Wahrscheinlich war das wieder die Sache mit den unterschiedlichen Vorstellungen von schnell…

Dieses Mal durften wir kurz im Wartezimmer Platz nehmen und mussten nicht in der Tür warten. Nach 5 Minuten kam die Mitarbeiterin raus und steuerte direkt auf uns zu. „So, da wir alles jetzt schon zusammen haben, habe ich den Antrag bis zum 31.3. verlängert. Oumou sollte Ihren Wohnort am Besten bis zum 31.12. nicht verlassen (ha, hatte sie ja schon, denn das Kreishaus befindet sich in der Nachbarstadt), im Bundesland muss sie aber unbedingt bis zu diesem Zeitpunkt bleiben.“ Alles klar, auch das war mir neu, aber egal. Wir bekamen noch eine Karte unseres Bundeslandes in die Hand gedrückt und waren fertig.

Ein letzter Blick zurück auf die Wartenden zeigte mir, wir waren die letzten die gekommen waren, aber die ersten die gingen. Die anderen hatten keinen Übersetzer mitgebracht bzw. niemanden der scheinbar so forsch zu Werke ging wie ich.

Draußen guckte Oumou mich an und ihr Blick sagte nur eins “ Was? War? Das?“. „Ach Oumou, gewöhn Dich dran, das ist deutsche Bürokratie.“

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