Tag 80 – Schritte ins Leben

„Ein Brötchen bitte.“ Rückblickend könnte ich vieles über Weihnachten und unsere Erlebnisse und Eindrücke erzählen, aber dieser Satz ist es, der uns massiv beeindruckt hat. Oumou kam zu spät zum Frühstück, weil Moustaf momentan lieber auf dem Arm als im Bett liegt und er keine Ruhe geben wollte. Sie setzte sich auf ihren Platz und sprach diesen Satz aus.

Das hört sich für Außenstehende vielleicht nicht nach viel an, aber uns zeigt es wieder einmal, dass wir auf dem richtigen Weg sind und wir immer mehr zu einer Normalität kommen. 

Auch Mamoudous und Oumous Vorlieben, was das Essen und besonders das Frühstück betrifft. Hatten wir am Wochenende noch Mühe Brötchen und Ei an den Mann zu bringen, gibt es heute ganz klare, „neue“ Vorstellungen eines perfekten Frühstücks. Haben wir Ihnen am Anfang, aufgrund von fehlendem Weißbrot oder Toast, ein helles/normales Brötchen andienen können, isst Oumou nun am Liebsten ein Laugenbrötchen und Mamoudou ein dunkles Brötchen, immer öfter auch mit Körnern.  Beim Ei darf es mittlerweile nicht nur ein 5-Minuten-Ei sein, sondern gerne auch zwei. Ich denke immer noch mit einem Schmunzeln an das erste Frühstück, wo Oumou uns ganz genau beobachtete, als wir unser Ei aufschlugen bzw. Felix sein Ei in viele einzelne Schalensplitter zerlegte.

Besonders beliebt ist unser Eierschalensollbruchstellenverursacher. Von uns schändlich im Schrank vergessen, erlebt er jetzt seine Renaissance. Ich glaube sogar, dass Oumou sogar noch mehr Spaß als Mamoudou daran hat.

Heute sind alle drei mit dem Bus in die Stadt gefahren. Einfach so, ohne dass wir ihnen das erklärt hätten. Sie versuchen sich ein Stück Freiheit zu erarbeiten. Da sie aber wissen, dass wir uns sorgen würden, wenn sie nicht zu Hause wären, haben sie sich vorsorglich bei unseren Nachbarn abgemeldet.

Beim Einkaufen versucht Oumou mittlerweile alle erlernten Deutschkenntnisse in eine Wagschale zu werfen und sie erlebt dabei Menschen, die ihre Mühe honorieren. Diese Freundlichkeit, die den dreien, aber auch uns immer wieder entgegengebracht wird, muss ich dringend noch einmal in einem anderen Blog zusammen fassen. Es ist wirklich unfassbar toll!

Tag 74 – Der Weihnachtsbaum 

„In der Weihnachtsbäckerei, la la lala lala laaaaa…“ 

Tobias und ich guckten uns erschrocken an und prusteten dann los. Es war keins der Kids, was dieses Lied zu Besten gab, nein, es war Oumou, die aus vollem Halse sang. 

Mittlerweile ist hier jeder bei uns „Joel“ und so stellten wir den Weihnachtsbaum auch schon ein paar Tage eher auf, denn die Vorfreude auf den Baum kannte keine Grenzen. 

Normalerweise bin ich es dann, die beim Schmücken erst singt und aus Ermangelung von Mitsingern dann eine CD reinwirft, um dem Prozess des Schmückens einen würdevollen Rahmen zu geben. 

In diesem Jahr war aber alles anders. Max war nicht da, da er dank des DFBs auf einem Stützpunktturnier weilte und auch an alles anderen Terminen schon fussballtechnisch verplant war. Das fiel besonders mir sehr schwer! Auf der anderen Seite habe ich noch niemals beim Schmücken in so viele leuchtende Augen geguckt und als wir den Stern auspackten, rief Mamoudou sofort: „Darf ich aufhängen? Darf ich? Darf ich?“

Wer wollte dawidersprechen?

Begleitet wurde das Ganze von diversen Weihnachtsliedern, so dass geschwind dieser Baum geschmückt war und alle fast schon traurig guckten, weil keine Kugeln, Zimtstangen, Orangenscheiben und Nelken mehr in den Kisten versteckt waren.   

 

Tag 70 – Erleichterung

„Ich höre da was und die Leber ist auch vergrößert!“ Ich konnte es nicht glauben, was die Kinderärztin gerade über Mamoudou gesagt hatte. Eben noch freuten wir uns mit ihm wie Bolle über seine handballerischen Fähigkeiten und jetzt sollte dieser Junge krank sein? Was denn noch alles?

„Was heißt das genau?“ Ich lächelte und tat so als wenn ich eine ganz normale Frage stellte, da sowohl Oumou als auch Mamoudou nicht wirklich verstanden, worum es ging. 

„Es könnte sich ein Loch im Herzen befinden.“

Rumms, das war es, was ich nicht hören wollte.

„Ok, was können wir tun? Wie finden wir heraus, ob das stimmt oder nicht?“ Manchmal wundere ich mich selbst über meinen Pragmatismus, denn innerlich war mir hundeelend zu Mute. Aber wie immer: Kneifen gilt nicht!

Als ich allerdings den unglücklichen Gesichtsausdruck der Ärztin, die ich über alle Maße schätze, sah, ahnte ich schon, was jetzt kommt. „Leider nicht viel. Ich kann noch ein Blutbild machen, aber danach sind mir die Hände gebunden. So lange der Asylstatus nicht festgestellt ist, werden weitere Untersuchungen nicht bezahlt.“

Oumou und Mamoudou verfolgten unseren Dialog gespannt, ähnlich wie beim Tennismatch, von links nach rechts guckend und warteten darauf, dass ich eine Regung zeigte. Mir schwirrte der Kopf und ich konnte nicht richtig denken, wusste jedoch, dass ich diese Nachricht erst einmal selber verdauen musste. „Ok, wir finden eine Lösung.“

Dieses Dilemma habe ich häufiger. Wie macht man es richtig? Alles erzählen und die beiden mit Dingen, die uns schon überfordern alleine lassen? Die Entscheidungen selber treffen und die beiden übergehen? Was ist richtig, was ist falsch? Ich vertagte die Entscheidung, denn der gesamte Arztbesuch stand so wie so unter dem Motto: „Muss das wirklich sein?“ Klar, so viele Ärzte wie bei uns in Deutschland hatten die beiden noch nie gesehen. Ich gehe auch nicht gerne bzw. oft zum Arzt, soweit kann ich das verstehen. Allerdings hatte ich bei Oumou schon gesehen, dass es Lücken bei der ärztlichen Versorgung im Erstaufnahmelager gab und deshalb sollte Mamoudou wenigstens einmal von unserer Kinderärztin untersucht werden. In der Tat war der Impfstatus noch nicht komplett, so dass er tapfer wie er nun mal ist, einige Nadelstiche über sich ergehen lassen musste.

„Mamoudou hat womöglich ein Loch im Herzen und kann aber erst in einem halben Jahr oder so untersucht werden. Ich weiß, dass nicht alle Untersuchungen gemacht und bezahlt werden können, aber wir können ihn doch nicht mit so einer Diagnose Hochleistungssport machen lassen. Außerdem ist die Vorstellung nichts tun zu können, unerträglich.“ Ich hatte Tobias angerufen, sobald ich alleine war. „Ich telefoniere mal mit meinem rotarischen Freund. Der war schließlich in führender Position im Herzzentrum. Vielleicht hat der eine Ahnung, was wenigstens die Untersuchung kostet. Zur Not zahlen wir es selbst.“

Was danach folgte war ein Lehrstück aus der Reihe: Bitte um Hilfe und Du wirst sie bekommen. Tobias‘ rotarischen Freund half umgehend, indem er einen kurzfristigen Termin organisierte und auch die finanzielle Unterstützung seitens eines Fördervereins klärte. 

Also führen wir knapp eine Woche später ins Herzzentrum. Oumou und Mamoudou wussten nur, dass wir aufgrund des Sports sein Herz untersuchen lassen wollten, da die Ärztin sich nicht ganz sicher war. Alles weitere, Loch im Herzen und OP-Möglichkeiten, verschwiegen wir.

Die Mitarbeiter und der Chefarzt waren einfach toll. Sie warteten bereits auf uns und Mamoudou wurde alles ganz genau erklärt und gezeigt. Es wurden einige Untersuchungen gemacht und als der Chefarzt sagte: „Ich sehe im Ultraschall nichts.“, war die Erleichterung riesig! Am Liebsten hätte ich laut losgejubelt.

„Ist das in Deutschland immer so, wenn man Handball spielt?“ Oumou guckte mich mit ihren großen Augen an, die Verwirrung ob des großen Aufgebotes an Schwestern und Ärzten und medizinischen Geräten. In diesem Moment musste ich lachen und die Tränen kamen mir dann doch vor Freude. „Nein Oumou, nicht wirklich!“

Tag 64 – Mamoudou 

„Ich habe nicht so oft so ein lernwilliges und lernhungriges Kind wie Mamoudou.“ Während Oumou nicht wirklich verstand, was da gerade über ihren Sohn gesagt wurde, so strahlten Tobias und ich mit Mamoudou um die Wette. „Es macht einfach nur Spaß mit ihm zu arbeiten.“

Es war seine Direktorin, die ihn als Mathe- und Handballlehrerin unterrichtete, die begeistert über die Zusammenarbeit sprach. Man sah ihr an, dass sie froh war, dass Mamoudou seine Aufgaben bestmöglich bewältigte und immer bemüht war, alles richtig zu machen.

„Unsere kleine Grundschule hat mittlerweile mehr als 15 Kinder, die kein bis kaum deutsch sprechen.“ So viele? Bei so einer kleinen Grundschule? Konnte das denn gut gehen? War das eigentlich von den Lehrern zu bewältigen?

Ich wollte das genauer wissen. „Gehen die alle in die normalen Klassen oder wie funktioniert das?“ „Am Anfang war es eine internationale Klasse, die von einem Hauptschullehrer, der uns zugewiesen wurde, unterrichtet wurde. Schnell waren es aber mehr als die angepeilten 12 Schüler. Die großen Altersunterschiede, die unterschiedlichen Sprach- und Wissensniveaus und die nicht immer kompatiblen Nationalitäten haben uns gezeigt, dass es besser ist, die Klasse auf zu teilen und in die normalen Klassen zu integrieren. Jetzt klappt das sehr gut und die Kinder gehen in Kleingruppen teilweise in einen separaten Unterricht, wenn es zur Förderung ihrer Deutschkenntnisse dient.“

Und während wir so plauderten, eröffnete sie uns, dass Mamoudou ein großes Talent habe. Sie war sehr begeistert von seiner Schnelligkeit im Handballtor. Wenn man bedenkt, dass er erst seit fünf Wochen überhaupt weiß, was Handball ist, ist das schon eine besondere Aussage.

Mittlerweile geht das Ganze schon so weit, dass Interesse eines großen Handballvereins besteht, dass er für sie in der entsprechenden Altersklasse im Tor steht. Wir freuen uns natürlich sehr für ihn und hoffen, dass er da seine Passion gefunden hat und er mit Spaß und Feuereifer dabei ist, auch wenn es für uns weitere organisatorische Herausforderungen bedeutet. 🙂

„Kann Mamoudou ab Montag bei uns im Kinderchor mitsingen?“ Kinderchor? Was die Chorleitern mir da eröffnete klang zwar interessant, aber ob der Chor etwas für ihn ist? „Mamoudou, möchtest Du im Chor mitsingen?“ Das Leuchten seiner Augen bedurfte keiner weiteren Worte. Wenn er etwas älter gewesen wäre, hätte ich das vielleicht noch eher verstanden, bestand der Chor doch momentan nur aus Mädchen….

Also montags ist jetzt immer Chor. Man oh man, in kürzester Zeit hat Mamoudou einen ähnlich vollen Terminkalender wie Max, aber können wir es ihm verwehren? Auf keinen Fall. Mamoudou lebt hier seinen Traum und das ist ihm mehr als bewusst. Und das wird auch Oumou immer mehr bewusst, denn er bekommt ein großes Selbstvertrauen und traut sich manchmal auch schon seiner Mutter entgegen zu treten, wenn sie seiner Meinung nach sich nicht richtig verhält. Das wird spannend.

Bei der tollen Entwicklung muss ich ausdrücklich die Grundschule, angeführt von einer hoch motivierten Direktorin, unsere Diakonin vom Jugendheim gegenüber und unsere Nachbarin erwähnen, die alle samt auf ihn einen sehr positiven Einfluss haben! Er profitiert sehr von seiner Offenheit und Unbekümmertheit allem Neuen gegenüber, aber nur mit gezielter Förderung und Unterstützung kann er auch zum Ziel kommen.

Mamoudous Entwicklung lässt mich aus vollem Herzen strahlen, es ist einfach nur faszinierend und schön!

Tag 58 – Geschwister 

Aus drei Kindern wurden fünf und mit 24 ist Oumou auch so manches Mal noch ein Kind. 

Bei uns geht es bunt zu und die Kids machen untereinander keinerlei Unterschied mehr. Da wird gespielt, gelacht, gestritten und gekuschelt. Gerade die drei Kleinsten sind bei letzterem immer gerne dabei, während es bei den beiden großen schon mal krachen kann. Mamoudou steht da Max aber mittlerweile durch nichts nach. Gerade die Diskussion FC Bayern München vs. FC Barcelona muss dafür immer herhalten. 😉

Wenn es aber dann zum gemeinsamen Spiel mit dem Fußball geht, passt wieder kein Blatt dazwischen. 

Oumou ist gerade bei der Pastorin gegenüber zum Adventsfenster und ich habe versprochen, auf Mustaf aufzupassen. So sitze ich hier im Sessel, im linken Arm Mustaf, im rechten Lukas, der diese Gelegenheit zu kuscheln gleich völlig ausnutzt. So einfach können 5 Minuten der Entspannung sein. 

  

Tag 56 – Behörden

Da heute jeder über das Bundesamt für Migration und Flüchtling (Bamf) redet und die einen sagen, dass die Beamten völlig überlastet sind und die anderen sagen, dass viel zu wenig und zu langsam gearbeitet wird, denke ich an meine bisherigen Erfahrungen.

„Sagen Sie mal, wie geht das eigentlich mit Oumous und Mamoudous Asylantrag weiter?“ Diese Frage stellte ich zwei Wochen, nachdem die beiden bei uns eingezogen waren, in einem Telefonat der städtischen Sozialarbeiterin. Eigentlich hatte sie angerufen, um sich nach dem Wohlbefinden der beiden zu erkundigen und Ihren Besuch für eine Woche später zu avisieren (gekommen ist sie bis heute nicht, aber das kann ich ihr als Alleinkämpferin mit einer Zuständigkeit für mehr als 200 Flüchtlinge auch nicht ankreiden). Die Gelegenheit schien mir aber günstig, sie gleich einmal nach dem weiteren Ablauf auszufragen, denn schließlich ist das nicht ganz unwichtig.

„Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, da wird es einen Brief geben, wenn es soweit ist.“ 

Klar, einen Brief. Dieser wird garantiert wieder in höchstem Beamtendeutsch sein, wir haben da nämlich, wenn es um Mittelzuweisung geht, schon einige. Diese Briefe führen bei Oumou immer zu einer totalen Verunsicherung, weil sie nicht weiß was drin steh und Angst hat, dass sie etwas geräumt oder falsch macht. Einfach wäre es natürlich, wenn diese Schriftstücke in den gängigsten Sprachen übersetzt wären: Englisch, französisch und arabisch. Sollte meiner meiner Meinung nach auch nicht so schwierig sein, da es sich um Formbriefe handelt und nur der Adressat und in diesem Fall eine Summe automatisch vom Programme eingesetzt werden. Jetzt bin ich immer sehr praktisch veranlagt und wage mal den: Einmal die Briefe professionell übersetzen lassen und ins system einpflegen und Zack, hätte man schon einige Probleme weniger. Denn was machen Flüchtlinge in den großen Wohnheimen? Nun, sie fragen die anderen Mitbewohner. Da aber nur alles in deutsch draufsteht und die meistens auch kein Deutsch sprechen, bleibt nur der Gang zur Sozialarbeiterin (die eh schon überlastet ist) oder zum Adressaten (meistens das städtische Sozialamt). Dort sitzen sie dann und „halten die Mitarbeiter von ihrer Arbeit ab“. Das nenne ich ineffektiv!

Aber das wollte ich eigentlich gar nicht schreiben.

„Was Oumou aber auf jeden Fall machen muss, ist die regelmäßige Meldung an die Ausländerbehörde.“ „Was? Welche Meldung?“ Mein Puls schoss in die Höhe, was hatten wir denn schon wieder verpasst? „Woher weiß sie denn, wann sie sich melden muss? Wo soll sie sich eigentlich melden?“ Ich war ganz schön aufgewühlt, da ich doch nur durch eine Nebenfrage gerade mit so einer wichtigen Tatsache konfrontiert wurde. „Das steht auf ihrem Erfassungsbogen oben drauf. Wo genau sie sich melden mus, kann ich nicht sagen, entweder beim Kreis oder der nahen, kreisfreien Stadt. Da muss sie sich durchfragen.“ Sie? Durchfragen? Logisch, das wird was geben. 

Ich beendete das Gespräch schnell, ging zu Oumou und gemeinsam studierten wir diesen Bogen. Tatsächlich war die Genehmigung schon seit drei Tagen abgelaufen. Was hieß das jetzt? War Oumou illegal? Wieso ist das keinem aufgefallen und welche Konsequenzen kann das für Sie haben?

Ich griff zum iPad und schaute beim Kreis nach. Durch die gut strukturierten Internetseiten fand ich schnell zum Ziel, wählte die Nummer und wunderte mich. Ich wunderte mich, warum keiner mehr als Telefon ging, bis mir auffiel: Es war Freitag, nach 15 Uhr. Also Montag wieder.

„Schon abgelaufen? Ja, da müssen wir schnell handeln.“ Der Mitarbeiter beim Kreis hatte sich meine gesamte Erklärung am frühen Montag angehört und gemeinsam fanden wir dann mit Hilfe von Oumous Namen und dem Geburtsdatum die elektronischen Unterlagen der beiden. „Ich schaue mal, wer dafür zuständig ist und ob da diese Woche noch ein Termin frei ist.“ Eines war klar, die Vorstellung von schnell war bei uns beiden scheinbar völlig konträr. Während ich schon in meinem Terminkalender nachschaute, ob ich für eine Stunde frei machen könnte, um mit Oumou zum Kreis zu fahren, guckte der Sachbearbeiter nach, ob es diese Woche noch ginge. 

„Bitte kommen Sie am Donnerstag zwischen 8 und 10 Uhr zu meiner Kollegin.“ Er nannte mir den Raum und gab mir noch eine genaue Wegbeschreibung, da der Eingang etwas abseits liegen sollte. „Ich sehe gerade, dass wir von Mamoudou noch gar kein Lichtbild haben. Könnten Sie dieses wohl am Donnerstag mitbringen?“ Ja, das sollte wohl klappen…

Donnerstag. Ich kenn mich durch diverse Sitzungen im Kreishaus eigentlich schon recht gut aus. „Rechts vom Bürgerbüro, noch vor den Treppen“, erinnerte ich mich an die Worte des Sachbearbeiters. Und tatsächlich, wenn man es wusste, war es nicht schwer zu finden. Alle anderen liefen garantiert erst einmal ins Bürgerbüro, denn ein Schild an der Tür gab es nicht.

Also traten Oumou und ich ein, ich orientierte mich kurz, um das richtige Büro anzusteuern. Überall saßen Menschen, offensichtlich ausländischer herkunft und warteten. Da wir aber einen Termin hatte (naja, so eine Zeitspanne) und die Tür zum Büro offen stand, klopfte ich freundlich an. Das Büro zeichnete sich durch zwei Schreibtische, die am Kopf zusammenstanden und an deren kurzer Seite jeweils ein Stuhl stand, aus. Am rechten Schreibtisch saß eine Dame und guckte in irgendwelche Aktenvermerk, am linken Schreibtisch stand eine Frau mit einer Flasche Sidolin und einem Lappen. Sie war aber offensichtlich keine Reinigungskraft, sondern Mitarbeiterin der Behörde.

„Guten Morgen, ich bin hier mit Oumou und die hat einen Termin bei Frau soundso.“ „Termin? Was denn für einen Termin? Ich bin Frau Soundso.“ Die Dame erhob sich, blieb aber an ihrem Schreibtisch, der ungefähr zwei Meter von der Tür, in der Oumou und ich standen entfernt war, stehen. „Ich hatte am Montag mit einem Kollegen von Ihnen gesprochen und da sie krank waren, hat er für heute einen Termin mit mir vereinbart.“ „Worum geht es denn?“

Ich blickte mich nur kurz um, denn draußen saßen eine Menge Leute und ich wollte mich auch nicht vordrängeln. Da die Dame aber fragte, schilderte ich das Problem. „Hat sie die Papiere mit?“ Auch das hatte ich ja nun schon öfter miterlebt, wenn ich dabei war, wurde nur über mich gesprochen, Oumou fand als Person erst einmal nicht statt. Oumou händigte ihr die Papiere aus, die die Dame genau studierte.“Entschuldigung, könnte ich wohl mal vorbei?“ Hinter uns schob sich eine Dame, bepackt mit einer Schreibtischunterlage und diversen Utensilien, vor und schließlich an uns, die wir immer noch in der Tür standen vorbei. Schien wohl großer Umzugs- und Großreinemachentag zu sein, ich fand es bei der Masse an Menschen vor der Tür und der Uhrzeit (es war mittlerweile nach neun) relativ unpassend. Gleichwohl war ich in anderer Mission unterwegs: „Ich habe auch noch ein Lichtbild von Mamoudou dabei, ihr Kollege meinte, das bräuchten sie.“ 

Etwas irritiert nahm sie das Bild an sich, sah, dass ich insgesamt 4 Bilder hatte und bat auch noch um die anderen. Gut dass ich die mitgenommen hatte, sonst hätten wir schon das erste Problem gehabt. „Von Oumou brauchen wir aber auch noch Lichtbilder.“ Ich traute meinen Ohren nicht. Warum denn das? Hatte ich nicht extra am Telefon gefragt, was mitzubringen ist? Hätte Oumou nun auch Bilder machen lassen, wäre ja kein Thema gewesen. „Aber auf der Bescheinigung ist doch ein Foto aufgedruckt, das ist doch noch gar nicht so alt. Wo sollen wir denn jetzt Fotos herbekommen!“ Ich sah mich schon ein weiteres Mal den Weg zum Kreis fahren. „Wir brauchen ein Original und einen Fotoautomaten haben wir im Foyer. Ich gucke mir solange die Unterlagen an.“

So, damit standen wir in der Tür, von der wir uns bislang noch nicht einen Zentimeter wegbewegt hatten und Oumou schaute mich fragend an. Gut, also dann zum Fotoautomaten. Eine gefühlte Ewigkeit war es her, dass ich mal so ein Ding benutzt hatte, aber schwierig könnte das ja wohl nicht sein. Denkste Puppe, denn als Erstes hatten wir einmal die Hürde des Geldeinwurfes zu nehmen. „6€, der Automat wechselt nicht.“ war darauf zu lesen. Oumou, die nur einen 5€ Schein dabei hatte, hielt ihn mir hin und in meiner Manteltasche fand sich doch tatsächlich ein 1 Euro Stück. Kurz fragte ich mich, was wohl die anderen machen, die nur mit scheinen ausgestattet vor dem Problem stand, als ich schon die hochschwangere Oumou in die Kabine manövrierte.

An der Wand war eine Erläuterung zur Bedienung in deutsch, englisch und türkisch, die halfen Oumou nicht weiter. Die Kabine sprach auch mit Oumou, allerdings lediglich auf deutsch. „Kopf drehen“, „nicht zu schräg halten“, „den Mund geschlossen“, „nicht lachen“ und so weiter kamen die Anweisungen wie aus der Pistole geschossen. Ich machte Oumou alles vor, drehte und schraubte an ihrem Kopf und dankte im Stillen eine eiteres mal dafür, dass Oumou so viel Vertrauen in mich hatte und alles geschehen lies. Zum Schluss musste noch ihr Spiegelbild im Bildschirm in eine angezeigte Schablone passen. Der Automat empfahl, dass man als Hilfe den Hocker, auf dem Oumou saß, durch drehen höhenverstellen sollte. Gesagt getan, ich riss Oumou hoch, drehte am Stuhl, setzte sie hin, bat sie wieder aufzustehen, drehte erneut am Stuhl und irgendwann passte es dann. Ich zeigte Oumou erneut, wie sie zu sitzen und gucken habe und dann ging es los.

Nachdem der Automat das Foto ausgespuckt hatte, gingen wir zurück zu dem Büro. Die freundliche Mitarbeiterin saß auch immer noch über Oumous Antrag, während auf der linken Seite die Umstrukturierungsarbeiten noch immer nicht abgeschlossen waren. „So schnell?“ Ich guckte auf die Fotos in Oumous Hand, hatten wir was falsch gemacht? Wahrscheinlich war das wieder die Sache mit den unterschiedlichen Vorstellungen von schnell…

Dieses Mal durften wir kurz im Wartezimmer Platz nehmen und mussten nicht in der Tür warten. Nach 5 Minuten kam die Mitarbeiterin raus und steuerte direkt auf uns zu. „So, da wir alles jetzt schon zusammen haben, habe ich den Antrag bis zum 31.3. verlängert. Oumou sollte Ihren Wohnort am Besten bis zum 31.12. nicht verlassen (ha, hatte sie ja schon, denn das Kreishaus befindet sich in der Nachbarstadt), im Bundesland muss sie aber unbedingt bis zu diesem Zeitpunkt bleiben.“ Alles klar, auch das war mir neu, aber egal. Wir bekamen noch eine Karte unseres Bundeslandes in die Hand gedrückt und waren fertig.

Ein letzter Blick zurück auf die Wartenden zeigte mir, wir waren die letzten die gekommen waren, aber die ersten die gingen. Die anderen hatten keinen Übersetzer mitgebracht bzw. niemanden der scheinbar so forsch zu Werke ging wie ich.

Draußen guckte Oumou mich an und ihr Blick sagte nur eins “ Was? War? Das?“. „Ach Oumou, gewöhn Dich dran, das ist deutsche Bürokratie.“

Tag 54 – Der Wunschzettel 

„Mama, Wunschzettel schreiben.“ Wer auch immer Felix diesen floh ins Ohr gesetzt hat, ich vermute stark meine Schwester, Felix hat seit Tagen kein anderes Thema. 

Mamoudou hört immer ganz interessiert zu, kann die Dramatik aber nicht nachvollziehen. 

Heute war es dann soweit. Bescheidenes Wetter sorgte für das ideale Ambiente. Max versuchte mit Händen und Füßen Mamoudou zu erklären, wozu er seine Wünsche aufschreiben soll. Mittlerweile hat er aber einen dermaßen großen Spaß an allem, was mit Weihnachten zu tun hat. Besonders die Lieder haben es ihm angetan und so gilt schon lange nicht mehr „ich nix noel“ 😉
Einträchtig saßen sie beieinander und niemand hätte vermutet, dass dieser kleine Junge nicht dazugehören könnte.  

 

Tag 51 – Schlaf

Über den heutigen Tag gibt es einiges zu erzählen, aber das ist nichts im Vergleich zu dem:

Mamoudou hat verschlafen!

Jetzt denkt jeder, der Kinder hat oder selbstkritisch genug ist „Ok, das kenne ich, na und?“. Wenn man aber weiß, dass dieser kleine Junge von jetzt 9 Jahren, niemals vor halb 12 einschläft, bei voller Beleuchtung versteht sich und meistens schon mit Tobias um 5, spätestens mit mir um halb sechs wieder aufsteht, dann ist das Verschlafen ein wunderbares Geschenk.

Für uns zeigt sich damit, dass Mamoudou angekommen ist. Er spricht schon sehr gut Deutsch, freut sich, wenn ich ihn mit den Hausaufgaben und meiner Strenge trieze (ich wünschte Max würde sich darüber nur annähernd so freuen 😉 ) und nimmt bereits sehr aktiv am Dorfleben teil. Er hat Freunde und liebt es, gemeinsam mit uns, Weihnachtslieder zu singen.

Wir alle machen uns keine Vorstellung, was dieser kleine Kerl in den 9 Monaten der Flucht aus Guinea erleben und erleiden musste. Wir erleben häufig, dass er sich einen kindlichen Schutzmechanismus aufgebaut hat, an dem alles abzuprallen scheint. In manchen Momenten sieht man aber hinter die Fassade und das, was man da sieht, ist erschütternd. 

Kein Kind dieser Welt, sollte das erleiden müssen! 

Mamoudou hat verschlafen und ich, ich habe geweint vor Glück.