Tag 7 – Das Baby 

Nachdem ich gesehen hatte, dass der letze Frauenarzttermin schon über 4 Wochen her war, der errechnete Geburtstermin aber bereits am 11.11. (dieser Termin freut das Meenzer Herz meines Mannes) ist, habe ich gleich bei meinem Arzt angerufen und die Situation geschildert. Wir bekamen spontan für heute Nachmittag einen Termin.“Mensch, da ist ja fast gar nichts gemacht!“ Die Fassungslosigkeit war dem Arzt ins Gesicht geschrieben. „Ich muss mal gucken, welche Untersuchungen noch machbar sind.“

Nach diversen Bluttests und dem CTG wurde es ernst. „Möchten Sie wissen, was es wird?“ Ja, das wollte Oumou und ich hätte es auch schon gleich sagen können, in unser Haus kommen nur „Jungs“. 😉

Zur Untersuchung wollte ich mich dezent zurück ziehen, aber da wurde ich von der kleinen, zierlichen Person, der man von hinten noch nicht mal ansieht, welch riesigen Babybauch sie vor sich her trägt, zurück gehalten. „No!“

Welch ein Vertrauensbeweis und natürlich blieb ich.

Es ist schon komisch, in welch kurzer Zeit man einander so vertraut werden kann.

Tag 7 – Schulanmeldung

Endlich Montag, endlich wieder Schulanfang, die Herbstferien sind vorbei.Was für Max zu keinerlei Freudensprüngen führte, war für Mamoudou spannend und aufregend, doch auch enttäuschend, denn zunächst einmal musste ich ihn anmelden.

So gingen Lukas und ich mit ihm die paar Schritte bis zur Grundschule. Es ist einfach fantastisch, wenn alles so nah bei einem ist und wenn es so ein intaktes Dorfleben gibt. Mit großem „Hallo“ wurde ich begrüßt und während ich mit der Schulsekretärin die Formalitäten klärte, flirtete Lukas mit der Direktorin.

Mamoudou ist acht Jahre alt und damit stand für die Direktorin fest: „Wir versuchen es in der 3. Klasse!“ Zu meiner Überraschung war die Klassenlehrerin dieselbe, die auch Max schon hatte.

Mein Tag war perfekt! 🙂

Es gibt sogar eine internationale Klasse (obwohl nur durchgehend einzügig), in der aber nur die Sprachförderung stattfindet, denn ansonsten gehen die Kinder in ihre Klasse, was für die Integration sehr wichtig ist.

Tag 5 + 6 – Allein zu Hause

Wir hatten eine schöne Zeit bei einer wunderschönen Hochzeit und doch waren unsere Gedanken immer wieder bei Oumou und Mamoudou, doch die zahlreichen Nachrichten, dass alles gut sei, beruhigten uns schon ein wenig.

Als wir nach Hause kamen, empfingen uns beide freudestrahlend und die Kids spielten gleich wieder los, als wenn wir nie weggewesen wären und so sah eigentlich auch das gesamte Haus aus.

Unsere Pastorin lud Tobias und/oder mich noch spontan zu einer kleinen Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema Flüchtlinge in unserem Dorf beschäftigen wollte, ein. Das Treffen findet schon morgen statt, so dass Tobias leider passen musste, ich aber gerne zusagte.

Tag 4 – Normalität

Heute war es spannend.
Zunächst einmal war der Wasserkocher angebrannt und wir mussten uns darüber verständigen, dass der „Anschalter“ nicht an sein muss, wenn kein Wasser drin ist. Weinbrandessig hatte dann sein Übriges getan und der Wasserkocher sieht aus wie neu. 🙂
Als ich von der Arbeit kam, saßen alle Jungs beim Essen. Oumou hatte für alle gekocht. „Super lecker“, war das einstimmige Votum, auch wenn es dem einen oder anderen schon etwas scharf war. Ein Blick in den Mülleimer zeigte mir „Hähnchenmagen“, doch das verschwieg ich den Jungs besser. 🙂

Unsere Nachbarinnen kamen vorbei, auch hier kann es so einfach sein. Wenige Worte, doch aufmunternde Blicke und eine Tasse Kaffee können eine Brücke schlagen.

Ich brauchte die beiden auch, denn Tobias und ich waren zu einer Hochzeit eingeladen und bis Sonntag nicht zu Hause. Außerdem hatten sich noch unsere Pastorin, die auch nebenan wohnt und die ehrenamtliche Helferin bereit erklärt, nach den beiden zu gucken.

Trotzdem sind wir mit gemischten Gefühlen weg gefahren.

Tag 3 – Kinder

Zurück zu Hause mussten wir zunächst einmal Platz in der Gefriertruhe und in der Speisekammer schaffen, allerdings ohne Mamoudou, der sofort von den Zwillingen und Max in Beschlag genommen wurde, um ihn auf seine fußballerischen Fähigkeiten zu testen.

„Der kann was.“ So einfach lautete das Urteil schon nach wenigen Minuten. Und so tobte die Menge, Lukas und Felix inklusive, durch’s Haus und es war eine ausgelassene Stimmung, die ich mit den Worten „Wir bestellen Pizza“, noch krönen konnte. Es ist einfach fantastisch zu sehen, wie unbeschwert Kinder miteinander sind, wenn niemand sie beeinflusst.

Bei dem Pizzagelage, welches Oumou und Mamoudou anfangs nicht geheuer war und sie nur zögerlich, aber dann mit vollem Genuss aßen, fragte Tobias plötzlich: „Seid ihr eigentlich Muslime?“ Oumou nickte. Ach Du Schreck, daran hatte ich ja gar nicht gedacht. Gott sei Dank gab es aber keine Salami auf deren Pizzen.

„Dann sollten wir uns darauf einstellen oder was meinst Du?“ Ich guckte Tobias an und nickte. Klar, ohne Schweinefleisch, das sollte klappen.

Tag 3 – Der Einkauf 

Nachdem wir heute unseren Behördengang mit einer schnellen und ordnungsgemäßen Anmeldung erledigt hatten, gingen wir einkaufen. Der Supermarkt ist einer der Neusten und Modernsten, aber somit auch nicht gerade klein und so war ich gespannt, wie Oumou das aufnehmen würde.

Felix und Lukas kamen, genau wie Mamoudou, mit, während Max schon auf seine Freunde zu Hause wartete.

Wir begannen beim Obst und Gemüse und schon hier stellte sich eine große Überforderung ein. Scheinbar wahllos wurden Trauben, Kartoffeln und Mangos in den Korb geladen und ich fragte mich, ob ihr die Preise bewusst waren.

„Riesch“, Oumou guckte mich fragend an. „Riesch?“, jetzt schon etwas fordernder. „Keine Ahnung, was Du meinst. Ist das Gemüse?“ „Riesch! Riesch“, wiederholte sie das Wort schon bereits wie ein Mantra. Ich war hilflos. „Werden wir schon finden, lass uns mal weiter gehen.“

Fasziniert über die Auswahl an frischem Fisch, Wurst und Käse, machten wir unseren Gang und ich kaufte für uns ein und sie suchte aus, was sie glaubte erkennen zu können. „Kicken?“ Oh nein, was heißt das denn schon wieder? „Chicken? Meinst Du Chicken, Hühnchen?“, Oumou nickte ganz heftig.

Gekauft wurden Hähnchenschenkel, -herz und -magen. Nun gut, das hatte ich noch nicht gegessen, aber spannend.

Über das Öl kamen wir dann endlich zum „Riesch“, der sich als ganz normaler Reis darstellte. Die Fülle an Tütenreis, losem Reis, aromatisiertem Reis und vielem mehr überforderte sie doch sehr und wir verbrachten fast eine halbe Stunde vor dem entsprechenden Regal.

„32,59 €“, hieß es dann an der Kasse und Oumou, die einen Zehner in der Hand hielt, wühlte ganz heftig in der Tasche, um mehr Geld herauszusuchen. Ja, an die Sache mit den Preisen in Deutschland müssen wir noch einmal rangehen.

Tag 2 – Das Sozialamt 

Die Mitarbeiterin im Sozialamt war auf Zack. Sie hatte schon soweit alle Unterlagen (Quartalskrankenscheine & Co.) zusammengestellt.

„Wie kamen Sie auf die Idee, Flüchtlinge aufzunehmen? Wir waren hier schon ein wenig überrascht.“, fragte sie, nachdem die Formalitäten erledigt waren.

Ich erzählte ihr von unseren Beweggründen und wir kamen ins Gespräch über die Flüchtlingssituation und die Herausforderungen, vor denen die Kommunen stehen. Vieles war mir noch gar nicht so bewusst, ich habe aber auch schnell gemerkt, dass wir Deutschen uns mit all unseren Gesetzen und Vorschriften oftmals selbst im Wege stehen.

Tag 2 – Das Bürgerbüro 

Die Nacht war ziemlich unruhig, denn die ungewöhnliche Situation forderte ihren Tribut.

„Mama, dürfen die Zwillinge morgen bei uns übernachten?“ Max hatte seine eigenen Vorstellungen, wie unser Leben zu funktionieren hatte und er hatte womöglich Recht.

„Klar, auf zwei mehr oder weniger kommt es doch nun wirklich nicht an und Du hast ja schließlich Ferien“, warf ich deshalb ein und ergänzte: „Ich werde mit Oumou heute Nachmittag zum Einwohnermeldeamt gehen und die beiden anmelden und dann fahren wir noch einkaufen.“

Einige Zeit später kamen wir ins Bürgerbüro der Stadt. Alle schauten irgendwo hin, aber keiner wollte uns direkt auffordern, zu ihm zu kommen.

„Ja?“ Eine junge Dame erbarmte sich und so gingen wir zu dem Tisch und ich bedeutete Oumou, sich zu setzen.

„Guten Tag, wir haben die Dame und ihren Sohn gestern bei uns aufgenommen und möchten die jetzt anmelden“, sagte ich unaufgefordert meinen Spruch auf.

„Haben Sie das denn mit einem Verantwortlichen abgeklärt?“ Diese Frage brachte mich aber jetzt etwas aus der Bahn und ich konnte mich nur schwer beherrschen. Glaubte die Dame etwa, wir sind mal kurz im Flüchtlingswohnheim vorbeigefahren und haben die zwei einfach mitgenommen?

„Natürlich, sie sind gestern mit dem Bus aus dem Erstaufnahmelager gekommen und wurden dann bei uns einquartiert. Alles ist abgesprochen.“ Was so ein tiefes Durchatmen so alles bewirkt. 🙂

„Na dann ist ja gut. Hat sie Papiere?“

„Na, am Besten fragen wir sie doch selbst.“ Natürlich hatte Oumou Papiere bekommen und die drückte sie mir komplett in die Hand. Den Mutterpass sortierte ich aus, den musste ich mir dringend noch einmal anschauen, aber später, und gab alles der Dame.

„Wo kommt sie her?“

„Aus Guinea.“ Mensch, warum spricht die denn nicht mit Oumou, sondern immer nur über Oumou? Das irritierte mich schon sehr.

„Nein, wo sie vorher war!“

„Wie vorher? Sie kommt aus Guinea, ist nach Deutschland geflüchtet und jetzt ist sie hier.“ Ruhig, Diana, ruhig.

„Nein, wie hieß das Übergangslager und wo war das?“

„Ich weiß es nicht, aber vielleicht gucken Sie mal in die Unterlagen.“

„Ach ja, da steht es.“, sprach’s und tippte es in ihren Computer.

„Wo wohnt sie jetzt?“

Bei uns, wollte ich sagen, verkniff es mir aber und gab ihr unsere Adresse. „Haben Sie auch die Adresse des Erstaufnahmelagers?“

„Ich? Woher soll ich die denn haben? Habe sie die denn bei der Stadt nicht?“ Jetzt fehlte wirklich nicht mehr viel.

Sie ging los, um eine Kollegin zu fragen und kam kurze Zeit später mit einer Adresse zurück. „Wir haben ein Problem. Sie hat keine Geburtsurkunde für ihr Kind und auch keine Heiratsurkunde, wir können doch nicht einfach diese Angaben übernehmen.“

Klar, das leuchtete mir ein. Da könnte ja auch jeder kommen und irgendetwas behaupten, aber ich kann auch kaum glauben, dass es in diesen Ländern so eine genaue Dokumentation wie bei uns gibt.

„Deshalb kann ich sie jetzt nicht anmelden.“ Schlagartig war es vorbei mit meinem Verständnis. Wir haben seit einem Jahr diese Flüchtlingssituation und Oumou soll tatsächlich die erste sein, die keine Unterlagen mit hat?

„Wie haben Sie das denn bisher gemacht? Wir müssen sie doch anmelden.“

„Das weiß ich jetzt auch nicht, aber es gab eine neue Anweisung, aber wir hatten bislang noch keine Zeit, uns dort einzuarbeiten.“

Aha. Super. Und jetzt?

„Wie wäre es denn, wenn Sie sich schnellstmöglich mal einarbeiten, jedenfalls einer von ihnen und dann eine Entscheidung treffen. Es sollen ja noch mehr Flüchtlinge zu uns kommen, es wird also nicht leichter.“

„Gute Idee“, kam es von ihrer Kollegin, „Ich denke wir setzen uns morgen Mittag zusammen und dann haben wir am Nachmittag eine Entscheidung.“ Die Frau gefiel mir und ich stimmte zu, am nächsten Tag wieder zu kommen.

„Wo ich aber gerade hier bin, wie man sieht ist Oumou schwanger und müsste dringend zum Arzt. Wie genau funktioniert das? Bekommst sie eine Karte oder geht sie einfach zum Arzt?“

„Das macht das Sozialamt, dort müssen sie sich erkundigen.“ Ich schaute die Dame an und wartete, was sie etwas aus der Fassung brachte. Nachdem ich keine Anstalten machte, etwas zu sagen, fragte sie: „Soll ich da mal anrufen?“

„Das wäre wirklich fantastisch, vielen Dank!“, ich konnte mir den sarkastischen Unterton nicht verkneifen und schämte mich auch ein wenig dafür. Ich war für so ein Behördenspiel einfach nicht gemacht.

Die Mitarbeiterin im Sozialamt war auf Zack und bat, dass wir doch gleich zu ihr rüber kommen mögen. Jetzt muss man wissen, dass unsere Stadt gefühlte 10 Rathäuser hat und so fragte ich zum Abschluss, wo denn genau das Sozialamt sei.

Das brachte die Mitarbeiterin aus dem Bürgerbüro vollends aus der Fassung und sie starrte mich an, gab mir dann aber mit einigem Zögern die Adresse.

Tag 1 -Die Ankunft 

„Na, Du siehst aus, als wenn Du einen Geist gesehen hast. Alles gut?“ So wurde ich von der Zwillingsmama auf dem Fußballplatz empfangen.

„Keinen Geist, aber unsere neuen Mitbewohner sind in zwei Stunden da und ich muss jetzt schnell alles vorbereiten.“

„Ich bringe Dir Max gleich nach dem Training vorbei, mach Dir mal keinen Stress.“ Ich liebe ihre unkomplizierte Art und bin in diesem Moment unendlich dankbar.

Zu Hause wirbele ich durch das Haus. Lukas und Felix sind schnell mal zu den Nachbarn gegangen,  die auch ganz spontan ihre Hilfe angeboten haben. Ok, sauber ist alles. Betten beziehen, Handtücher hinlegen, den Laufstall entfernen (den wollten wir doch auch schon lange wieder zurückgeben). Plötzlich klingelt mein Handy, die unbekannte Nummer.

„Schön, dass sie die beiden aufnehmen und sorry für die Verwirrung.“ Die Sozialarbeiterin. 
“Wir werden eine Mutter mit Kind nicht auf der Straße stehen lassen. Irgendwie geht es schon“ Ich merke selbst, dass ich in dieser Situation vergesse, zu atmen. „Wie alt ist das Kind denn jetzt? Junge oder Mädchen“

„Lassen Sie mich mal schauen. Das Kind ist 8 Jahre alt, ob Junge oder Mädchen steht hier nicht. Aus Eritrea.“

Wie das steht da nicht? Die sind doch nicht seit gestern in Deutschland. Die Behörden müssen doch wissen, ob Junge oder Mädchen. „Egal, wir werden es in einer Stunde ja sehen“, höre ich mich sagen.

„Die kommen mit dem Bus an, dann gibt es noch einige Formalien und eine ehrenamtliche Mitarbeiterin aus ihrem Dorf bringt sie dann zu Ihnen.“ Na wenigstens etwas, die Frau kenne ich, das macht es gerade leichter.

Schnell ein Sprung zu unseren Nachbarn, die ich völlig verdattert mit der Information zurück lasse: „Wir nehmen Flüchtlinge bei uns auf.“ Aber bisweilen beschleicht mich da der Gedanke, dass sie sich bei uns über vieles nicht mehr wundern.

Supi, noch 30 Minuten und ich muss mir nur noch darüber Gedanken machen, was ich denn wohl koche. Doch schon wieder klingelt das Telefon. „Es kann sein, dass die Dame schwanger ist und sie kommt nicht aus Eritrea, sondern aus Guinea.“ Oh Gott, Guinea, wo liegt das denn? Was sprechen die für eine Sprache? Und was bitte war das gerade mit „eventuell schwanger“???

„Egal, wir werden sehen.“, ermunterte ich mich selbst. Ich muss zugestehen, dass mir die Situation so langsam über den Kopf wuchs, aber kneifen ging jetzt auch nicht mehr.

Also schnell das iPad raus und Dr. Google nach Guinea befragen. „Französisch“, entfuhr es mir, „auch das noch!“ Hatte ich doch, dickköpfig wie ich nun mal bin, in der Schule gegen alle Widerstände und wahrscheinlich genau deshalb, Latein gewählt. Ansonsten nahm ich noch schnell auf, dass dort Ebola erfolgreich bekämpft worden war und dass es ein Nachbarstaat von Sierra Leone in Westafrika ist.

Und da schellte es schon an der Tür. „Hallo Diana, ich bringe Euch eure beiden Gäste und ich weiß nicht, ob Du es schon gehört hast, die Frau ist schwanger.“

„Wie schwanger?“

„Sehr“

Nun denn, dann also auf. Als ich dem Auto näher kam, saß da eine junge Frau auf dem Beifahrersitz. Aufgrund des sehr großen Babybauches sah ich den ängstlichen Blick erst einige Augenblicke später.

„Hello, ich bin ehh I am Diana!“ Mensch, man könnte meinen, ich wäre total doof, stammelte ich doch nur so etwas vor mich hin.

„Oumou“

Mein Blick ging auf die Rückbank, wo ein kleiner Junge zusammengekauert saß, seinen Impfpass krampfhaft in der Hand.

„Mamoudou“, hörte ich ihn sagen.

„Na, dann kommt mal mit ins Haus“, lud ich sie ein und machte mich sogleich auf, die Tüten, in denen sich die Anziehsachen, die sie in der Notunterkunft und bei uns vor Ort bekommen hatten, auszuladen. Oumou nahm ihren Koffer und so marschierten wir zur Haustür.

Später einmal würde Tobias auf die Frage, wie man sich das mit Flüchtlingen vorstellen kann und warum wir das machen, immer nur antworten: „Stell Dir vor, Du musst aus Deutschland fliehen und alles, was Dir wichtig ist, passt in in einen kleinen Koffer.“

Oumou und Mamoudou traten ungläubig in unser Haus. „Here?“ Ja klar hier, hier bei uns. Irgendwie hatte ich gerade das Gefühl, dass Ihnen das nicht passen würde. „Hier ist Euer Zimmer und Euer Badezimmer.“, die beiden bewegten sich keinen Millimeter. Ich nahm die Tüten und stellte sie in das Zimmer. „Vielleicht packt ihr erst mal aus.“

Mit einem tiefen Seufzer ließ Oumou sich aufs Bett fallen. „Kitchen, where is Kitchen?“ „Da drüben, komm ich zeige sie Dir. Wir kochen alle zusammen.“ Herrgott was wollte sie. Wieso war sie so unfreundlich und herausfordernd? Sie ging zurück in ihr Zimmer, drehte sich um und fragte: „Ihr Allemagne?“ „Ja, klar“, entfuhr es mir. „Warum ihr hier?“ So langsam dämmerte es mir! „Wir wohnen hier, das ist unser zu Hause, home, und ihr wohnt jetzt bei uns.“ Jetzt sah sie erst richtig verstört aus und ich ließ sie mit ihrem Sohn in ihrem Zimmer alleine.

Sollte sie erst einmal zur Ruhe kommen und ich auch, gestand ich mir ein.

So fand mich Tobias in der Küche, die Hände in den Kopf gestützt. „Irgendwas läuft hier falsch.“

„Hat ihr denn niemand gesagt, wo sie hinkommt?“, Tobias war genauso entsetzt wie ich. „Scheinbar nicht, aber lassen wir sie jetzt erst mal in Ruhe.“

Unsere drei Jungs kamen und sofort war wieder Stimmung im Haus. Natürlich waren sie neugierig und wollten sofort hallo sagen. „Gleich, wenn sie rauskommen, gerne, aber stört sie jetzt nicht.“

So saßen wir in der Küche und mir fiel der Spruch meines Papili, eines guten Freundes aus Rüsselsheim, mit ägyptischen Wurzeln ein: „Bei uns in Ägypten trinkt man immer erst mal Tee.“

Jetzt gehört Guinea nicht zum arabischen Raum, aber zumindest liegen beide Länder auf dem afrikanischen Kontinent und das reichte mir momentan als Verbindung.

„Tea?“, fragte ich Oumou auch sogleich beim Eintreten in die Küche. „Oui.“

Und so saßen wir da, alle in der Küche, tranken Pfefferminztee und es herrschte Totenstille.

„Du spielen?“ Felix war der dringend benötigte Eisbrecher. Er zog und zerrte an Mamoudou rum und schwups waren die Kinder im Wohnzimmer verschwunden.

Und dann sind sie da

Dienstags ist immer Stress. Neben der täglichen Frage „was koche ich heute?“, sind Felix aus dem Kindergarten holen, Max von der Schule, damit er pünktlich zum Fussballtraining kommt, an der Tagesordnung.

Gerade noch schnell die Sachen zusammengesucht und schon auf dem Weg zum Platz, klingelt das Telefon. Nee, jetzt mal gerade keine Zeit, die Nummer kenne ich nicht. Das gönne ich mir jetzt mal.

Gerade am Fußballplatz angekommen, klingelt das Telefon wieder. Tobias. Ok, das ignoriere ich natürlich nicht. „Wo bist Du?“ „Max hat Training, ich bin gerade angekommen, warum?“

„Die Sozialarbeiterin der Stadt hat mich gerade angerufen, weil sie Dich nicht erreichen kann.“ Aha, der Anruf. „In 2 Stunden kommen sie.“ In meinem Bauch machte sich ein unruhiges Gefühl breit, ich merkte, wie das Blut rauschte. „Wer „sie“? Die Flüchtlinge?“

Ich merkte wie unruhig auch Tobias war als er mir erklärte „Ja, die Mutter mit ihrem Kind. Ich bin total überfahren und habe der jetzt erst mal gesagt, dass ich das mit Dir durchsprechen muss. Das hat die Sozialarbeiterin etwas irritiert, denn wir hätten  das doch gewusst.“

„Gewusst, ja, aber doch nicht so spontan. Tobias, das geht nicht. Das zieht mir jetzt etwas den Boden unter den Füßen weg. Wir haben doch noch gar nichts vorbereitet.“

„Ich verstehe Dich. Ich bin auch etwas fassungslos. Was machen wir denn jetzt?“

Ja, was machen wir? Was passiert, wenn wir jetzt „nein“ sagen? Wo kommen die dann hin? Können wir sie, nach all der Torturen, die sie womöglich erlebt haben, ablehnen, weil wir nicht „vorbereitet“ sind?

„Tobias, wir können eine Mutter mit Kind nicht ablehnen.“ Damit hatten wir es also beschlossen.